Überbelegung: «Genf und Waadt stecken zu viele Leute ins Gefängnis»

Etienne Sticher
Etienne Sticher

Genève,

Genf und Waadt haben höhere Inhaftierungsraten als andere Kantone, aber ähnliche Kriminalitätsraten. Eine Forscherin kritisiert die repressive Strafpolitik.

genf waadt
Die Kantone Genf und Waadt haben deutlich höhere Inhaftierungsraten als andere Kantone. (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • In den Kantonen Genf und Waadt sind deutlich mehr Leute in den Gefängnissen.
  • Die Kriminalitätsrate lässt sich dies laut einer Forscherin aber nicht erklären.
  • Ein Staatsanwalt erklärt es mit Kriminaltouristen, die Forscherin widerspricht.

Die Gefängnisse in den Kantonen Waadt und Genf, den beiden grössten der Romandie, sind überbelegt. Sie haben die deutlich höchsten Inhaftierungsraten der Schweiz. In Genf sitzen pro 100'000 Einwohner 150 Menschen in Haft, in der Waadt 109 Personen. In Zürich sind es 72, in den beiden Basel 59, der schweizweite Schnitt liegt bei 74 Inhaftierten pro 100'000 Einwohner.

Die Gründe dafür erforscht Julie de Dardel, Geografieprofessorin der Universität Genf, wie SRF berichtet. Denn die einfachste Antwort ist nicht die richtige: In den beiden Kantonen gibt es nicht mehr Verbrechen als in anderen. «Die unterschiedlichen Inhaftierungsraten lassen sich nicht mit Unterschieden in der Kriminalität erklären.»

Die laut de Dardel einzige plausible Erklärung: Die beiden Kantone haben eine repressivere Strafpolitik.

Die welschen Kantone stehen auch internationale in der Kritik: Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter äusserte sich kürzlich besorgt, es gebe Anschuldigungen von körperlicher Misshandlung und exzessiver Gewaltanwendung. Auch die Überbelegung sei problematisch: Das Gefängnis Bois-Mermet VS ist zu 166 Prozent ausgelastet, jenes in Champ-Dollon GE zu 132 Prozent.

Generalstaatsanwalt: Halten uns an legalen Rahmen

Die Überlastung liege aber nicht daran, dass es zu wenig Plätze gebe, so de Dardel. «Sondern weil man in den Kantonen Genf und Waadt zu viele Leute ins Gefängnis steckt.»

Den Vorwurf repressiver Strafpolitik weist Eric Kaltenrieder, Generalstaatsanwalt im Kanton Waadt, gegenüber SRF zurück: Die Bedingungen für Inhaftierungen seien in einem legalen Rahmen geregelt. «Und an diesen Rahmen halten wir uns.»

Er legt dafür nahe, dass der Grund für die vielen Inhaftierungen aus dem Ausland kommt: «Am Wochenende kommen Jugendliche aus Frankreich, um hier Delikte zu verüben.» Man müsse ihnen die Freiheit entziehen, um die Bevölkerung zu schützen – es sei die einzige Möglichkeit. Andere Kantone seien nicht so nahe an Frankreich.

Bereiten dir Kriminaltouristen Sorgen?

Forscherin Julie de Dardel sieht in den Kriminaltouristen keine ausreichende Erklärung. Denn auch beispielsweise die beiden Basel lägen direkt an der Grenze. «Die Kriminalität in Basel ist vergleichbar, es werden aber viel weniger Leute inhaftiert.»

Sie findet auch, dass in der Romandie zu viele Leute hinter Gitter seien. Das sei teuer und bringe für die öffentliche Sicherheit wenig. Generalstaatsanwalt Eric Kaltenrieder widerspricht. Oftmals gebe es schlicht keine Alternative.

Kommentare

User #2444 (nicht angemeldet)

Leider ist die Unsicherheit in Genf nicht mehr nur ein "Gefühl", sondern eine Realität. Allein zwischen November und Dezember ist in meiner Umgebung Folgendes passiert: - Einbruch bei meinem Nachbarn - Einbruch bei einem anderen Nachbarn - Diebstahl einer Uhr in einer belebten Strasse - Entführung eines Freundes (der in einem Wald im benachbarten Frankreich freigelassen wurde). Genf ist leider zu einem Durchlass und einem Spielplatz für Kriminelle geworden.

User #3383 (nicht angemeldet)

Bin ich sicher? Ich bezweifle es.

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