Verhüllungsverbot wird in der Bundesverfassung festgeschrieben
Eine Mehrheit der Stimmenden und der Stände hat am Sonntag die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» angenommen. Damit wird die religiös begründete Verhüllung, aber auch die Vermummung von Hooligans und Demonstrierenden schweizweit verboten.
Das Wichtigste in Kürze
- Nach dem Bauverbot für Minarette im Jahr 2009 ist es dem Egerkinger Komitee ein zweites Mal gelungen, eine Volksinitiative beim Stimmvolk durchzubringen.
Mit 51,2 Prozent hat sich eine Mehrheit der Stimmbevölkerung und der Kantone für ein landesweites Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum ausgesprochen. In sechs Kantonen (ZH/BE/BS/GE/AR/GR) wurde die Vorlage abgelehnt.
Mit dem Ja zur Initiative werden nun erstmals Kleidervorschriften in der Bundesverfassung festgeschrieben. Das Verhüllungsverbot gilt für Hooligans an Sportveranstaltungen und verbietet Vermummungen an Demonstrationen. Verboten sind aber auch das Tragen der Ganzkörperschleier Niqab oder Burka muslimischer Frauen in der Öffentlichkeit. Mit der Annahme der Initiative wird es auch explizit verboten, Frauen zu einer Verhüllung zu zwingen. Allerdings können sich Frauen bereits heute mit einer Anzeige wegen Nötigung gegen eine Zwangsverhüllung wehren.
Das Abstimmungsergebnis ist eine Niederlage für Bundesrat, der flächendeckende Kleidervorschriften als Widerspruch zu einer liberalen Gesellschaftsordnung versteht. Der indirekte Gegenvorschlag von Bundesrat und Parlament sah vor, dass verhüllte Personen bei Identitätskontrollen ihr Gesicht zeigen müssen. Mit der Regelung sollte eine Gesetzeslücke geschlossen werden. Zudem sollten Förderprogramme für die Gleichstellung von Frau und Mann mit Bundesgeldern unterstützt werden.
Ein weiteres Argument der Gegner war, dass Kleidervorschriften im öffentlichen Raum in den Kompetenzbereich der Kantone fallen. Die Kantone würden die lokalen Gegebenheiten und Bedürfnisse am besten kennen, hiess es. Bisher kennen die Kantone Tessin (2016) und St. Gallen (2019) ein Verhüllungsverbot. Andere Kantone wie Glarus lehnten ein Verhüllungsverbot ab. 15 Kantone kennen ein Vermummungsverbot bei Demonstrationen, so zum Beispiel Zürich, Bern und Basel-Stadt.
Nicht zuletzt ging es bei dem Argument der kantonalen Entscheidungshoheit auch um den Tourismus. Ein breites Komitee unter dem Dach des Schweizer Tourismus-Verbands engagierte sich gegen das Verhüllungsverbot. Vor allem im Berner Oberland und in der Genfersee-Region befürchtet man, dass Touristinnen und Touristen aus den Golfstaaten fernbleiben. Diese Gäste aus dem Nahen und Mittleren Osten sind laut Schweiz Tourismus ein wichtiger und wachsender Markt. Die Zahl der Besucher aus arabischen Staaten habe seit 2017 um 130 Prozent zugenommen.
Für eine Ausnahmeregelung in den Tourismuskantonen besteht wenig Spielraum. Weil die Polizeihoheit bei den Kantonen liegt, werden die Vorgaben zwar in den kantonalen Gesetzgebungen umgesetzt, die Ausnahmen sind jedoch abschliessend in der Bundesverfassung festgelegt. So sind Verhüllungen aus gesundheitlichen oder klimatischen Gründen sowie Verhüllungen an der Fasnacht erlaubt.
Die Umsetzung der Initiative dürfte für die Kantone keine einfache Aufgabe werden. Zwei Jahre haben sie dafür Zeit. Erste Erfahrungen sammelte der Kanton Tessin. Das Bundesgericht kam 2018 zum Schluss, dass das Tessiner Verhüllungsverbot unverhältnismässig sei und für eine grundrechtskonforme Auslegung verschiedener Ergänzungen bedürfe. Das Urteil ist erwähnenswert, weil sich der Initiativtext des Egerkinger Komitees primär auf die ursprüngliche Tessiner Gesetzgebung stützt.