Bigler: «Klassenkampf am 1. Mai gehört in die Mottenkiste»
Am Tag der Arbeit, 1. Mai, variieren die Feierlichkeiten zwischen politischer Demonstration und entspanntem Familienfest. Eine Kolumne von Hans-Ulrich Bigler.
Das Wichtigste in Kürze
- Der 1. Mai hat seine Wurzeln in der Arbeiterbewegung. Heute hat er diverse Bedeutungen.
- «Linke und Gewerkschaften könnten den 1. Mai auch mal progressiver denken.»
- Dies sagt alt Nationalrat Hans-Ulrich Bigler (SVP) in seiner Nau.ch-Kolumne.
1. Mai – Nationalfeiertag für die Linke und Gewerkschaften. Glaubt man dem Deutschen Gewerkschaftsbund, ist es allerdings ein «Kampftag der Arbeiterbewegung». Doch so weit gehen die Gewerkschaften in der Schweiz dann doch nicht. Wie immer gehen sie fahnenschwingend in Umzügen durch die Städte.
Wie immer ertönt der Ruf nach Solidarität mit dem fast unvermeidlichen Chaotentum im Anschluss daran. Und wie immer werden in Reden die aktuellen politischen Herausforderungen bejammert, die selbstverständlich nur mit linken Lösungsvorschlägen bewältigt werden können.
Zwischen politischer Demonstration und familiärer Entspannung
Ganz viele Schweizer werden hingegen auch nicht teilnehmen. Sie freuen sich ganz einfach daran, dass der 1. Mai in zahlreichen Kantonen ganz oder teilweise arbeitsfrei ist.
Sie werden deshalb – wie Gölä das so schön besingt – im Familien- oder Freundeskreis grillen, chillen und ab und zu ein Bierchen killen.
Doch bleiben wir sachlich. Der 1. Mai ist offiziell der Tag der Arbeit. Seinen Ursprung hat er wie so vieles ennet dem grossen Teich in Amerika. Im Jahre 1886 rief die nordamerikanische Arbeiterbewegung angesichts gewichtiger Benachteiligungen am Arbeitsplatz zum Generalstreik auf. In der Schweiz kam es 1918 zum denkwürdigen Landesstreik, der die weitere politische und gesellschaftliche Entwicklung entscheidend prägte.
Vor dem Hintergrund massiver gesellschaftspolitischer Spannungen forderte die Arbeitnehmerschaft bessere Arbeitsbedingungen und Löhne, die für den Lebensunterhalt ausreichten. Die Arbeitgeberseite reagierte zunächst mit Massenaussperrungen als Strafmassnahme.
Geburtsstunde der Sozialpartnerschaft
1937 kam es unter Führung des Unternehmers Ernst Dübi und des Gewerkschafters Konrad Ilg in der Maschinenindustrie zum Schulterschluss. Mit dem Friedensabkommen wurde – dem Grundsatz von «Treu und Glauben» folgend – vereinbart, die Differenzen am Verhandlungstisch zu bereinigen.
Mit dieser Geburtsstunde der Sozialpartnerschaft wurde die Grundlage bis heute gelegt, Gesamtarbeitsverträge auszuhandeln. Fragen und Probleme werden im Dialog unter Verzicht auf Streiks und Arbeitskämpfe, dafür aber unter Wahrung des Arbeitsfriedens gelöst.
Die Schweiz und die Sozialpartnerschaft
Doch zurück in die Gegenwart. Wer die Aufrufe zum 1. Mai durchgeht, kommt zum Schluss, dass dieses Geschichtsbewusstsein weitgehend in Vergessenheit geraten ist. So stellt das 1.-Mai-Komitee in Zürich in reisserischer Aufmachung fest: «Kapitalismus macht krank.»
Da man offenbar nicht einmal selbst so ganz an diesen vermeintlichen Skandal glaubt, schiebt man gleich hinterher: «Und zwar nicht im übertragenen Sinn.»
Viel profaner ist der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) unterwegs. Prämien müssen runter, Lohn rauf. Aber auch hier geht es selbstverständlich um ein besseres Leben (wer möchte das denn nicht?) und die internationale Solidarität.
Mit einem Loblied über seinen politischen Grosserfolg zur 13. AHV-Rente gibt der SGB dann aber klar zu verstehen, was der 1. Mai für die Gewerkschaften eigentlich ist. Ein politischer Grossdemonstrationstag.
Bedenklich ist dabei, dass die Kommunikation des SGB ganz bewusst und wider besseres Wissen versucht, einen Keil in die Gesellschaft zu schlagen, wenn im Aufruf von «vereinter Wirtschafts- und bürgerlicher Politelite» die Rede ist.
Meine Herren Gewerkschafter, der Klassenkampf ist längst vorbei.
Diese Feststellung gehört vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung in unserem Lande längst in die Mottenkiste. Die gelebte Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ist eine völlig andere und das wissen Sie ganz genau.
Erfolgsgeschichten aus der Arbeitswelt
Selbstverständlich soll dem Recht, für seine Anliegen auf die Strasse zu gehen, nicht das Wort geredet werden. Aber anstelle von Demonstrationen – und an gewissen Orten auch regelmässig unbewilligten Nachdemonstrationen mit Sachschaden – könnten Linke und Gewerkschaften den 1. Mai auch mal etwas anders und vor allem progressiver denken.
Auf diesen Gedanken brachte mich ein Gespräch mit einem Dachdecker. Seit Jahrzehnten führt er sein KMU mit knapp zehn Angestellten.
Mit Freude erzählte er mir, er habe für den kommenden Herbst zwei junge Typen gefunden, die bei ihm mit einer Berufslehre beginnen. Einer als Dachdecker, der andere als Solarinstallateur. Diese Berufslehre startet dieses Jahr völlig neu.
Solarinstallateure montieren, installieren und reparieren elektrische Solaranlagen auf Gebäuden. Sie leisten mit ihrer Tätigkeit einen wichtigen Beitrag zur Energiewende. Beide Lehrlinge seien top motiviert und voller Tatendrang.
Diese Episode ist wohltuend. Taten und Fakten anstelle von leeren Worthülsen und überholten Appellen an die internationale Solidarität. Und damit bekäme der 1. Mai wieder den Sinn, den er ausdrückt. Tag der Arbeit.
Zur Person: Hans-Ulrich Bigler ist Ökonom und war von 2008 bis 2023 Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV). Er ist im Vorstand mehrerer Verbände, darunter auch das Nuklearforum Schweiz, und sass von 2015 bis 2019 für die FDP im Nationalrat. Heute ist Bigler SVP-Mitglied.