Kein Kostendeckel: Groupe Mutuel fordert Systemwechsel
Das Parlament wird sich bald mit dem Problem der Kostensenkung im Gesundheitswesen beschäftigen. Thomas J. Grichting findet die Stossrichtung jedoch falsch.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Mitte hat eine Initiative zur Kostensenkung im Gesundheitssystem eingereicht.
- Als Gegenvorschlag will der Bundesrat «Zielvorgaben» oder Kostendeckel einführen.
- Der Direktor der Groupe Mutuel Thomas J. Grichting will stattdessen einen Systemwechsel.
Seit mehr als 20 Jahren versucht die Politik erfolglos, die Kosten des Gesundheitswesens und damit die Prämienentwicklung in den Griff zu bekommen. Die neuste Idee: Der Bundesrat will mit einer «Zielvorgabe» der Kostenbremse-Initiative Der Mitte einen indirekten Gegenvorschlag entgegensetzen.
Diese Tage befindet die Gesundheitskommission des Nationalrats über die Initiative und den Gegenvorschlag. Dabei müsste die kostentreibende Über- und Fehlversorgung an der Wurzel gepackt werden.
Die Idee hinter der «Zielvorgabe»: Bei Bund und Kantone würden im Voraus festlegen, wie hoch die Kosten der einzelnen Blöcke im Gesundheitswesen im jeweiligen Kanton im nächsten Jahr wachsen dürfen. Bei Überschreitung erhalten die Kantone und der Bund die Möglichkeit, Sanktionen zu ergreifen.
Doch dies könnten sie bereits heute tun, wenn sie es wollten. So ein staatlicher Pseudodeckel ist reine Augenwischerei. Denn die Zielvorgaben wären entweder wirkungslos oder würden zu Rationierungen führen.
Um die unnötigen Kosten anzugehen, wäre es Zeit für einen Systemwechsel. Denn das Hauptziel muss die Vermeidung von unnötigen und schlecht durchgeführten Leistungen sein. Also kein Deckel von oben, sondern die richtigen Anreize bei der medizinischen Leistung. Im Vordergrund jeder Behandlung sollte der Nutzen für den Patienten stehen.
Heute verdient ein Arzt daran, wenn sein Patient krank bleibt
Es soll nicht weiter der Arzt belohnt werden, der so viele Behandlungen wie möglich durchführt. Es geht um die beiden Fragen «Wird das Richtige für den Patienten gemacht?» und «Wird das Richtige richtig gemacht?». Im Schweizer Gesundheitswesen wird heute in erster Linie die Quantität vergütet.
Qualität wird zwar vorausgesetzt, aber zumeist kaum kontrolliert und schon gar nicht finanziell honoriert. Verantwortlich dafür sind falsche Anreize. Denn je mehr Therapien und medizinische Leistungen durchgeführt werden, desto mehr verdienen die Ärzte und Spitäler.
Ganz nach dem Motto: Darf es ein bisschen mehr sein? Dabei verteuern unnötige medizinische Eingriffe nicht nur das Schweizer Gesundheitswesen, sondern sind auch gefährlich für die Patienten.
Schlechte oder unnötige Leistungen müssen Auswirkungen haben
Die Formel heisst «Pay for Quality». Ein Vergütungssystem, das auf Qualitätswettbewerb und Transparenz setzt, schafft die richtigen Anreize, um Über- und Fehlversorgung zu vermeiden. Und mit Qualität meine ich eben genau die Beantwortung der Frage «Wurde das Richtige richtig gemacht?».
Will das Schweizer Gesundheitssystem seine Qualität fördern und finanzierbar bleiben, muss es sich für leistungsbezogene Vergütungen öffnen. Es soll jener Arzt belohnt werden, der seine Patienten gesund macht und nicht der, welche sie krank hält. Auch sollte bei bestimmten medizinischen Eingriffen eine Verpflichtung zu Garantieleistungen, wie wir es in den meisten anderen Wirtschaftsbranchen kennen, geprüft werden.
Plumpe Kostendeckel hingegen gefährden unser gut zugängliches Gesundheitswesen, eine der kost-barsten Errungenschaften unseres Landes.
Zum Autor: Thomas J. Grichting ist Direktor und Generalsekretär der Groupe Mutuel, eine der grössten Krankenversicherungen der Schweiz. Zudem ist Grichting Vize-Präsident von Santé Suisse, die Branchenorganisation der Krankenversicherer. Er lebt im Wallis.