So reagierte die Frau in Uri, als ich sie auf den Niqab ansprach!
Eine Frau läuft im Niqab durch Andermatt. Ihr Ehemann trägt kurze Hosen. Was macht Christina Bachmann-Roth? Sie spricht die beiden darauf an.
Das Wichtigste in Kürze
- Wir dürfen Respekt vor unserer Kultur einfordern, findet Christina Bachmann-Roth.
- Meinungs- und Religionsfreiheit müssen hochgeschrieben werden.
- Eine Kolumne von Christina Bachmann-Roth.
Ich staune nicht schlecht, als ich vor dem Einkaufszentrum in Andermatt UR eine verhüllte Frau antreffe. Die Frau ist von Kopf bis Fuss in einen schwarzen Umhang gehüllt. Hinter dem kleinen Sehschlitz kann ich ihre Augen kaum erkennen. Sie trägt einen Niqab.
Diese Art der Verhüllung ist eine Vollverschleierung und seit dem 1. Juli 2022 in der Schweiz verboten. Neben ihr gehen ein Bub und ihr Mann. Der Mann, gegen dreissig, trägt kurze Hosen und Kurzarmshirt.
Dieses Bild löst bei mir heftige Emotionen aus.
Ich war beruflich öfters im Iran unterwegs. Für mich war es selbstverständlich, dass ich mich anpasste und ein Kopftuch trug, obwohl mir diese Einschränkung der Bewegungsfreiheit und die Verschleierung gegen den Strich gingen. Unsere damalige Bundesrätin Micheline Calmy-Rey hat dies sogar auf einem Staatsbesuch so gepflegt.
Ein Stich ins Herz
Eine Frau mit Vollverschleierung bewegt sich in Andermatt in aller Öffentlichkeit, als ob das völlig normal ist in der Schweiz. Es ist eine Frechheit, dass dieses Paar ganz offensichtlich die Schweizer Gesetze nicht respektiert. Mir wird fast schlecht bei diesem krassen Unterschied zwischen dem aufmüpfigen und freizügigen Auftreten des Mannes und der vollverschleierten gebeugten Frau.
Die Ungleichheit der Geschlechter ist so offensichtlich, dass es mir einen Stich ins Herz gibt.
Bussen von rund 1000 Franken
Was tun? Nach dem ersten Überraschungsmoment fasse ich mich, atme tief durch. Dann gehe ich auf die Frau im Niqab zu. Ich spreche sie auf Englisch und in Hochdeutsch an. Ich erkläre ihr, dass es in der Schweiz verboten ist, einen Niqab zu tragen. Und dass es für eine solche Vollverschleierung Bussen von rund 1000 Franken gebe.
Ihr Mann kommt näher. Ich wende mich auch an ihn und sage: «Ich erwarte Respekt vor unseren Gesetzen und unseren Werten in der Schweiz.» Eine Vollverschleierung sei verboten und ich wünsche, dass dies respektiert werde. Ich sage ihnen aber auch, dass ich keine Polizistin sei und sie nicht büssen dürfe.
Die beiden nicken respektvoll. Die Frau nimmt daraufhin einen schwarzen Corona-Mundschutz aus der Tasche, legt sich diesen um.
Ermutigendes Erlebnis
Ich bin positiv überrascht, dass die beiden rasch, und ohne zu murren, auf mein Anliegen eingegangen sind. Mich ermutigt dieses Erlebnis, in der Öffentlichkeit zu den eigenen Werten zu stehen und sich zu trauen, auf Missstände aufmerksam zu machen. Respektvoll und klar.
Es muss nicht eskalieren
Auch wenn etwas verboten ist, braucht es nicht immer gleich eine Eskalation oder das Eingreifen der Polizei. Es kostet Überwindung, nicht einfach wegzusehen, nichts zu sagen, oder wütend die Leute anzuschreien.
Ich finde, wir dürfen Respekt vor unserer Kultur, unseren Werten und unserer Verfassung und unseren Gesetzen einfordern. Wir alle bauen die Gesellschaft, in der wir und unsere Kinder gerne leben wollen.
Menschenwürde ein zentraler Wert
Ich wünsche mir eine Gesellschaft, wo Meinungs- und Religionsfreiheit hochgeschrieben werden. Einen demokratischen Rechtsstaat, wo jedes Individuum gleiche Rechte und Pflichten hat und wo die Menschenwürde ein zentraler Wert ist. Ein Land, wofür ich bereit bin, mich zu engagieren. Ein Land, worauf ich stolz bin und mich daheim fühle.
Zur Person: Christina Bachmann-Roth ist Betriebsökonomin, Geschäftsführerin, Einwohnerrätin in Lenzburg und Präsidentin der Mitte Frauen Schweiz. Für Nau.ch schreibt sie regelmässig Kolumnen.