«Arena»: Studiogast legt sich mit SVP Thomas Matter an
Am Mittwoch lockerte der Bundesrat die Corona-Massnahmen. Schlittert die Schweiz nun in eine dritte Welle? Retten uns die Impfungen? Das war die «Arena».

Das Wichtigste in Kürze
- In der «Arena» vom Freitagabend wurde über die jüngsten Lockerungsschritte diskutiert.
- Die Szene des Abends leitete ein Studio-Gast ein, der sich mit Thomas Matter anlegte.
Von der Covid-müden Bevölkerung und der Wirtschaft gelobt, von Fachpersonen und links-grünen Politikschaffenden kritisiert: Der Bundesrat kann es mit seinen Massnahmen und Lockerungen nie allen recht machen. Das musste natürlich wieder in der «Arena» ausdiskutiert werden.
Vor den Gefahren in den Innenräumen warnten GLP-Nationalrat Martin Bäumle (ZH), der Basler Arzt Manuel Battegay und die SP-Nationalrätin Samira Marti (BL). Auf der anderen Seite befanden sich der Zürcher Thomas Matter von der SVP und die Aargauer FDP-lerin Maja Riniker. Unterstützung erhielten beide Nationalratsmitglieder von Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands. Bigler hatte sich für die Aufhebung aller Massnahmen ausgesprochen.

Vorausgenommen sei: Zumindest was die Garten-Beizen-Öffnungen anbelangt, herrschte in der «Arena» ein gewisser Konsens. Und natürlich waren sich einmal mehr auch alle Anwesenden einig, dass nun endlich mit dem Impfen vorwärts gemacht werden muss. Denn bisher, so die von der «Arena» recherchierten Zahlen, wurden lediglich 8,5 Prozent (rund 733'000 Personen) der Schweizer Bevölkerung durchgeimpft. Allein schon die Risikogruppe umfasst jedoch mehr als 2,2 Millionen Menschen...
SVP-Polteri läuft sich warm
Wer sich in der Schweizer Politik etwas auskennt, der konnte sich bereits vor der Sendung ausmalen, dass die Anwesenheit von Thomas Matter zu einer hitzigen Debatte führen wird. Sogar ein Studiogast legte sich mit dem SVP-Polteri an und leitete damit auch die Szene des Abends ein... Dazu aber später mehr!
Matter begann eigentlich relativ gehalten und meinte, die Lockerungen seien ein «erstes kleines Schrittchen» in die richtige Richtung. Gleichzeitig sprach er aber auch davon, dass es ihm «eher wie eine Alibiübung» vorkomme. «Ich muss trotz den Lockerungen am Vierer-Tisch meine Maske anbehalten und bei jeder Gabel Spagetti kurz ablegen», monierte der Zürcher Banker.

Als Samira Marti dann kurz darauf darüber sprach, dass ihre Partei seit Pandemie-Beginn die einzige Kraft gewesen sei, die klargestellt habe, dass es wichtig sei nicht nur die gesundheitlichen, sondern auch die wirtschaftlichen Folgen abzufedern und sie es «absurd» finde, dass sie dies als SP-lerin nach wie vor ihren bürgerlichen Kollegen erklären müsse, war Matters Angriffslust weckte.
Die SVP habe sich immer für das Gewerbe, wie auch Härtefallregelung und die Kurzarbeit eingesetzt, meinte der Zürcher und fügte hinzu: «Das alles muss aber ein kurzfristiger Aspekt sein, wir haben das jetzt ein Jahr lang gezahlt.» Direkt an Marti gewandt sagte er bissig: «Ich weiss schon, dass sie 100 Jahre Lockdown wollen, um ihren Traum eines bedingungslosen Grundeinkommens verwirklichen zu können.»

Die junge SP-Nationalrätin konterte: «Dem Virus ist es egal, ob es ihnen reicht nach einem Jahr oder nicht. Solange die gesundheitlichen Massnahmen notwendig sind, sind auch die wirtschaftspolitischen Massnahmen notwendig.»
Wirtschaft über alles – mit Fragezeichen oder Ausrufezeichen?
Auch Hans-Ulrich Bigler ging auf Konfrontationskurs. Zuerst erinnerte der Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands daran, dass das Parlament zu Pandemie-Beginn «überhastet zusammengepackt» habe, «heimgegangen» sei und «gar nichts mehr» gemacht habe und kritisierte somit alle Politikerinnen und Politiker im «Arena»-Studio, während er die Sozialpartner, Gewerkschaften, Arbeitgeber und natürlich seinen eigenen Verband für das Einspringen lobte.
Dann bemühte sich Bigler damit, das Bild zu vermitteln, dass es «eigentlich» nicht um die Wirtschaft gehe, sondern um die Gesellschaft. «Man hat massgebliche Grundrechte der Verfassung ausser Kraft gesetzt und es geht darum, dass die Gesellschaft ihre Rechte zurückerhält, die ihr gemäss Verfassung zusteht.»

Der Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes schien sich dabei sehr sicher zu sein, dass so ziemlich alle gesellschaftlichen Probleme der Pandemie mit der schwächelnden Wirtschaft zusammenhängen. Den Anschein vermittelte er zumindest mit folgendem Monolog: «Menschen befinden sich in Kurzarbeit, haben ihren Job verloren, es gibt Dramen, psychosomatische Probleme, Suizidgedanken, Depressionen, Behandlungen bei den Psychologen steigen an, häusliche Gewalt, Kindergewalt – und warum? Weil wir nicht mehr arbeiten können!»
Das Thema der gestrigen Corona-«Arena» war «Wirtschaft über alles» mit einem Fragezeichen am Schluss. Bigler machte bei seinem Auftritt klar, dass für ihn dahinter wohl eher ein Ausrufezeichen steht.
Experte Nr. 1: Lockerungen sind eine Gratwanderung
Die Stimme der Vernunft? Die Stimme der Wissenschaft? Die Stimme der Panikmacher? Egal wie man ihn beschreibt, die Einschätzung des Infektiologen Manuel Battegay war mit Spannung erwartet worden. Der Chefarzt vom Unispital Basel stellte klar, dass man sich in der dritten Welle befinde, diese zwar noch flach sei, doch es ganz klar an der Sicherung durch die Impfungen fehle. «Und diese Message ist nicht genug bei den Menschen angekommen.»

In Bezug auf die Gartenbeizen meinte er: «Die Leute müssen verstehen, dass es nun eine unglaubliche Disziplin braucht. Es ist einfach nicht so, und das möchte ich wissenschaftlich klar in Abrede stellen, dass es draussen keine Infektionsgefahr gibt.»
Auch wenn sich der Experte teilweise etwas verzettelte, die Botschaft des ehemaligen Mitglieds der wissenschaftlichen Task Force war klar: Die Lockerungen sind zum jetzigen Zeitpunkt eine Gratwanderung. «Die Leute, allen voran die Risikopersonen, müssen sich wirklich überlegen, ob sie sich auf der Zielgeraden einem Risiko aussetzen wollen», so Battegay.
Experte Nr. 2: «Singen und Fitnesscenter öffnen ist dumm»
Ganz sachlich analysierte zu Beginn der zweite «Experte» in der Runde die Öffnungsschritte. «Sehr mutig», sei es, meinte Martin Bäumle und fügte an: «Rein von den Daten her, müsste man ja eigentlich mehr zu machen.» Der Atmosphärenwissenschaftler stellte sich schliesslich hinter die Öffnung der Aussenterrassen – «das schulden wir der Bevölkerung, das Risiko müssen wir eingehen» – doch redete sich in Rage zum Thema «Öffnungen in den Innenräumen».
«Singen und Fitnesscenter öffnen ist kein Zückerchen, das ist einfach nur unverständlich und dumm und hat mit der Wirtschaft überhaupt nichts zu tun. Das sind unnötige Risiken, die womöglich dazu führen, dass die dritte Welle noch einmal explodiert und man dann die Wirtschaft tatsächlich zumachen muss.»

Bäumle erinnerte zudem daran, wie auch schon in einigen früheren Corona-Ausgaben der «Arena», dass «Wirtschaft und Gesundheit in der Pandemie nie ein Widerspruch waren.» Je früher und entschlossener man Massnahmen eingreife, desto tiefer würden die Fallzahlen bleiben und umso schneller könne man wieder öffnen. Es war ein klarer Seitenhieb in Richtung SVP und Gewerbeverband.
Auftritt von Studiogast Jürg Schmidiger
Schliesslich kam es zum unerwarteten Schlagabtausch: Auftritt Studiogast Jürg Schmidiger. Der Logistiker aus dem Kanton Solothurn ging direkt auf Bigler und Matter los. Er bezeichnete die Aussagen des Gewerbeverbandspräsidenten und des SVP-Nationalrats als «absoluten Schwachsinn»: «Alles, was wir uns so hart erarbeitet haben, was die ganze Gesellschaft gemeinsam aufgebaut hat, verblasen wir nun, nur damit ein paar Leute Profit machen können.»

Der Rundumschlag wollte Matter nicht auf sich sitzen lassen. Noch bevor Schmidiger sein Statement beenden konnte, fiel ihm der SVP-ler ins Wort und sagte: «Wir verblasen die Reserven der Schweiz.» Doch Schmidiger polterte unbekümmert weiter und kam schliesslich zum Schluss: Die Wirtschaft sei für gewisse Personen wichtiger als Menschenleben.
Matter wollte davon nichts wissen, schüttelte den Kopf und nannte die Aussagen «pauschale» Sprüche. «Tatsache ist, wenn die Risikogruppe einmal vollständig geimpft ist, dann ist es für die anderen 90 Prozent nicht gefährlicher als sonst eine Grippewelle, und wir haben noch nie einen Lockdown wegen einer Grippewelle verhängt.»

Diese Worte lösten bei Battegay eine Reaktion aus. «Kontraproduktiv» sei es, wenn man diese Krankheit vernachlässige, so der Arzt. «Ich glaube das ist wirklich unfair gegenüber den Leuten, die sich jeden Tag einem hohen Risiko aussetzen.» Matter reagierte auf die Kritik und sagte: «Also ich möchte hier schon noch klarstellen, dass ich das Virus nicht verharmlose.» – «Ah okay, ja ist gut», hörte man Battegay Off-Kamera.
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Sofort wechselten die Sendungsmacher das Bild und schwenkten auf den Basler Arzt, dem der Sarkasmus ins Gesicht geschrieben stand. Als er realisierte, dass die Kamera ihn ins Bild holte, versuchte er sich in Schadensbegrenzung, in dem er vorgab, die Plexiglasscheibe würde den direkten Blick zu Matter verdecken. So ergab sich die Szene des Abends (im Video).