Wahlen 2023: Claude Longchamp erklärt die Listenverbindungen
Das heisse Thema für die Wahlen 2023 ist nicht das Klima oder die Einwanderung – sondern die Listenverbindungen. Politologe Claude Longchamp ordnet ein.
Das Wichtigste in Kürze
- Verglichen mit den letzten Wahlen geben Listenverbindungen derzeit viel zu reden.
- Vor den Wahlen 2023 verbinden sich mehr Parteien und Bewegungen denn je.
- Ist das noch demokratisch? Wem bringt das etwas? Claude Longchamp liefert Antworten.
Der römische Gott Janus hat zwei Gesichter: Er ist damit das Symbol der Zwiespältigkeit, der Dualität. Als «janusköpfig» werden auch Listenverbindungen für Wahlen beschrieben, und zwar von Politik-Experte Claude Longchamp.
Listenverbindungen haben im Vorfeld der Wahlen 2023 Schlagzeilen gemacht: Dort spannt die SVP mit der FDP zusammen, dort mit Mass-voll, hier die GLP und die Mitte. Und eben: Diese Taktik ist weder undemokratisch noch ist sie ein demokratischer Idealfall, sagt Longchamp.
«Das Proporzwahlrecht, wie wir es im Nationalrat haben, funktioniert nur, wenn es mindestens zehn Sitze in einem Wahlkreis gibt», sagt er. In der Schweiz existieren zahlreiche kleinere Wahlkreise, weswegen kleinere und mittlere Parteien oft die Chance auf einen Sitz verpassen: «Als Versicherung können diese sich mit einer Listenverbindung zusammenschliessen.»
SVP hatte 2019 zu wenig gute Verbindungen
Es sei aber nicht nur eine Versicherung, sondern auch eine politische Aussage, glaubt Longchamp: Wer steht mir am nächsten? An wen soll der Sitz gehen, den ich als kleine Partei verpasse? Diese Fragen beantworten die Listenverbindungen.
Für die Wählenden ist das aber schwer durchschaubar: «Im Voraus ist es auch immer wenig abschätzbar, was geschehen wird. Und es gibt immer wieder Überraschungen», so Claude Longchamp.
Grundsätzlich aber profitieren kleine und mittlere Parteien am meisten von Listenverbindungen, wenn sie sich geschickt anstellen. «Grössere Parteien haben da eher Mühe»: 2019 zum Beispiel habe die SVP mangels guter Listenverbindungen sieben Sitze nicht bekommen.
Die Grünliberalen hingegen hätten fünf Sitzen dank «guter und geschickter» Listenverbindungen gewonnen: «Das ist ungefähr ein Drittel aller ihrer Sitze.» Dem Mechanismus kann auch EVP-Präsidentin Lilian Studer Danke sagen. Andere hätten aber deswegen ihre Sitze verloren, etwa Heinz Brand (SVP/GR) oder Corrado Pardini (SP/BE).
Unterlisten sind für Wahlen 2023 «explodiert»
Ein anderes Thema sind die Unterlisten: So profilieren sich Parteien, etwa mit einer Frauenliste, wenn sie für Gleichstellung einstehen wollen. Oder einer queeren Liste, wenn sie sich einen LGBTQ-freundlichen Anstrich verleihen will.
Früher musste man noch für jede Unterliste ebenfalls Garantieunterschriften sammeln, erklärt Longchamp. Weil dies nicht mehr der Fall ist, falle es den Parteien viel leichter, zahlreiche Unterlisten aufzustellen: Für die Wahlen 2023 seien Unterlisten «richtiggehend explodiert.» So gebe es im Kanton Zürich heuer 25 Prozent mehr Listen für die Wahlen 2023.