Covid-19-Gesetz: Referendumskomitee serviert Faktensalat
Das Wichtigste in Kürze
- Kritiker der Pandemie-Massnahmen ergreifen das Referendum gegen das Covid-19-Gesetz.
- Auf diversen Ebenen halten Sie die Massnahmen durch den Bundesrat für falsch.
- Sie zweifeln an der medizinischen Beurteilung und den Kompetenzen des Bundesrats.
Das Covid-19-Gesetz soll die gesetzliche Grundlage schaffen, um auf die Herausforderungen durch die Corona-Pandemie reagieren zu können. Bis im September tat dies der Bundesrat vor allem durch befristete Verordnungen und Notrecht, wie es im Epidemiengesetz vorgesehen ist.
National- und Ständerat haben das Covid-19-Gesetz fertig beraten; ein corona-kritisches Komitee ergreift dagegen das Referendum. Es bezeichnet das Gesetz als unnötig und zweifelt die den Massnahmen zugrunde liegenden Annahmen an.
Faktencheck
In einer Medienkonferenz hat der Verein «Freunde der Verfassung» die Gründe für die Unterschriftensammlung dargelegt. In der Kritik stehen die von den Behörden kommunizierten Zahlen, die medizinischen Grundlagen, die Rechtsstaatlichkeit sowie die Pandemie an sich. Es ist die Rede von Unwissenschaftlichkeit, Zahlensalat, der Umgang mit Nichtwissen werde für Panik benutzt.
Es ist gar nicht so dramatisch
Der Allgemeinmediziner Björn Rickenbach erwähnt, er habe in seiner Praxis gerade mal zwei Corona-Fälle gehabt. Er wisse auch, dass in Spitälern Kurzarbeit geleistet worden sei und der Ansturm nicht wie angekündigt eintrat. «Es gibt gewisse Widersprüche bei der medizinischen Dramatik dieser Pandemie.»
Die Wahrnehmung von Dramatik liegt wohl im Auge des Betrachters. Die Anzahl Patienten in einer privaten Praxis gehört in den unwissenschaftlichen Bereich der «anekdotischen Evidenz», auf gut Deutsch: Hörensagen. Rickenbach hat recht: Viele Spitäler meldeten Kurzarbeit an, allerdings nicht auf den Intensivstationen, sondern anderen Abteilungen, wegen verschobener Eingriffe. Als Mediziner kennt Rickenbach zudem sicher das «Präventionsparadox»: Je besser die Wirkung, desto mehr Zweifel an der Notwendigkeit einer Massnahme.
«Das Virus ist tot»
Mit anderen Argumenten verhält es sich ähnlich: Sie sind nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig. Eine koreanische Studie habe gezeigt, dass Masken gegen Viren nichts nützen. Das ist richtig – wenn man hustet, können Viren durch die Maske hindurchdringen, beim Atmen dagegen nicht.
«Das Virus ist tot», es kann nur in Zellen überleben. Korrekt, wobei Virologen generell Viren gar nicht zu den Lebewesen rechnen. Aber infektiös sind sie trotzdem: Das Hepatitis-A-Virus oder das Polio-Virus (Kinderlähmung) zum Beispiel auf trockenen Oberflächen bis zu zwei Monate lang.
Das Coronavirus sei ein RNA-Virus, dadurch bestehe grosse Mutationsmöglichkeit, wie beim Grippe-Virus. Alles richtig. Es fehlt hier allerdings die Quelle für die Schlussfolgerung des Referendumskomitees: «Die Grippeimpfung hat einen besseren Placebo-Effekt.»
Darf und soll der Bundesrat das überhaupt?
«Das Gesetz ist gar nicht nötig und der Bundesrat gibt sich Notrecht-Kompetenzen als Gesetz, die er gar nicht brauchen würde.» Das ist der Spur nach richtig, weil der Bundesrat, wie im Frühling, gemäss Epidemiengesetz wieder die ausserordentliche Lage ausrufen könnte. Aber das will ja weder der Bundesrat noch das Parlament und auch nicht das Referendums-Komitee. Also wo genau ist das Problem?
Beim Notrecht: Denn dieses sei in der Verfassung gar nicht definiert, da gebe es breite Übereinstimmung bei den Parteien. Auch richtig, sogar die Medien sehen das so, denn das Wort Notrecht kommt in der Verfassung nicht vor. Es kommt aber auch im Covid-19-Gesetz oder dem Epidemiengesetz nicht vor und der Bundesrat hat auch kein Notrecht angewandt. Es ist mehr ein eingebürgerter Ausdruck für einen juristisch etwas umständlich zu beschreibenden Vorgang.
Die Gegner des Covid-19-Gesetzes gestehen die Wackeligkeit ihrer Bedenken zum Teil auch ein. Sie verweisen auf die eher diffusen Ängste: Dass der Bundesrat das Gesetz nach Ablauf seiner Gültigkeit «ganz easy» verlängere. Wie easy müsste sich noch weisen, denn dazu braucht es die Zustimmung des Parlaments.
Aber dann ist da ja noch diese Impfung. Die wird zwar auch nicht im Gesetz erwähnt. Aber man weiss ja nie.
Zwangsimpfung der Hälfte der Bevölkerung
Die Argumentationskette geht ungefähr so: Es ist eine verkürzte Zulassung von Arzneimitteln vorgesehen, dabei könnte es um Impfstoffe gehen. Also die neue Technologie der RNA-Impfung, obwohl auf der ganzen Welt noch nie ein RNA-Impfstoff zugelassen wurde.
«Es gibt ein Verbot von gentechnisch veränderten Lebensmitteln. Wenn wir das nicht essen sollen, warum sollen wir es uns dann injizieren?», fragt Referendums-Sprecher Christoph Pfluger.
Es gibt einen Impfzwang, nein, halt, ein Impfobligatorium, aber es ist nirgends definiert, was «gefährdete Bevölkerungsgruppen» sind. Gesundheitsminister Alain Berset will die Hälfte der Bevölkerung impfen, also werden wir alle zu Versuchskaninchen.
Stimmt alles… irgendwie
Stimmt, der Bundesrat kann Ausnahmen von der Zulassungspflicht vorsehen. Dabei geht es aber um Therapie-Medikamente. Stimmt, es wird an RNA-Impfungen gegen Coronavirus geforscht, aber längst nicht nur. Stimmt, RNA hat auch irgendwas mit Genen zu tun, aber RNA-Impfungen sind keine gentechnisch veränderten Lebensmittel.
Stimmt, es ist nicht definiert, was «gefährdete Bevölkerungsgruppen» sind – das wäre wohl abhängig von verschiedenen Faktoren. Kandidaten wären sicher Mitarbeiter im Gesundheitswesen, aber nicht die Hälfte der Bevölkerung. Obwohl verschiedene Behördenmitglieder von der «Hälfte der Bevölkerung» gesprochen haben. Doch dabei ging es um die Anzahl Impfdosen, die man zu beschaffen gedenkt, damit es möglichst für alle Impfwilligen reicht.
Referendum als Denkzettel
Die etwas wenig stichhaltige Argumentationsschiene ist offenbar auch den «Freunden der Verfassung» bewusst. So betonen sie, nichts gegen die Gelder für Kultur oder Kurzarbeit zu haben (meckern aber gleichzeitig über die verteilten Milliarden). So verlegt man sich auf die Symbolik: «Der Bundesrat verdient einen Denkzettel!» Denn bis das Referendum entschieden wird, ist es aufgrund der Dringlichkeit schon ein halbes Jahr in Kraft.
Was man natürlich auch als Angriff auf die direkte Demokratie empfinden kann, so wie das das Referendums-Komitee tut. Es gibt stichhaltige Gründe gegen das Covid-19-Gesetz – wie gegen fast jedes Gesetz.
Das Komitee tut sich aber keinen Gefallen, sich auch noch Argumenten wie denen des Zürcher Kantonsrats Urs Hans zu bedienen. Dieser wurde von den Grünenn wegen seiner abenteuerlichen Corona-Thesen ausgeschlossen. Denn sonst entsteht der Eindruck von Unwissenschaftlichkeit, Zahlensalat und dem Ausnützen von Nichtwissen für Panik.