Ignazio Cassis: Enteignung von Oligarchen spaltet Bundesbern
Ignazio Cassis hat ein offenes Ohr für den Vorschlag, russische Oligarchengelder zu beschlagnahmen, um den Wiederaufbau der Ukraine zu finanzieren.
Das Wichtigste in Kürze
- Ukrainer fordern die Konfiszierung russischer Vermögen für den Wiederaufbau der Ukraine.
- Ignazio Cassis hat ein offenes Ohr für den Vorschlag – der internationale Druck sei gross.
- Nicht alle teilen die Ansicht des Aussenministers – Barbara Steinemann ist irritiert.
In der Ukraine hinterlässt der russische Angriffskrieg ein Bild der Zerstörung – enormes menschliches Leid und tausende Todesopfer. Ausserdem entstehen im Rahmen der Kampfhandlungen im ganzen Land immense Schäden an der Infrastruktur: Gemäss dem ukrainischen Wirtschaftsministerium belaufen sich die Kosten für den Wiederaufbau bereits jetzt auf rund tausend Milliarden US-Dollar. Wenn es nach dem ukrainischen Wirtschaftsministerium geht, sollen die Kosten teilweise mit den eingefrorenen Vermögenswerten russischer Oligarchen gedeckt werden.
Gegenüber den «Tamedia»-Zeitungen hat Aussenminister Ignazio Cassis diese Forderung anerkannt: «Die eingefrorenen russischen Gelder sind eine mögliche Quelle für den Wiederaufbau. Wenn wir das Geld allerdings verwenden wollen, dann muss es entsprechende Gesetzesgrundlagen geben, und zwar international abgestimmt.» Der Aussenminister ist allerdings überzeugt, dass in der Diskussion «keine raschen Entscheide» gefällt werden dürften. Überdies hätte am Ende «wahrscheinlich das Volk das letzte Wort» in der Angelegenheit.
An dem Vorschlag scheiden sich die Geister
Um einen solchen Schritt zu ermöglichen, müsse das Völkerrecht angepasst werden – Eigentumsrechte sind ein Menschenrecht. In der aktuellen Rechtslage ist es zwar möglich, illegale Gelder zu konfiszieren. Doch viele der eingefrorenen Vermögenswerte sind nicht illegaler Herkunft.
Mit seinem offenen Gehör für den ukrainischen Lösungsvorschlag stösst Ignazio Cassis in Bundesbern allerdings auch auf viel Unverständnis. Für SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann sind die Äusserungen des Wirtschaftsministers «irritierend bis unerhört».
Barbara Steinemann will «Unrecht nicht mit Unrecht vergelten»
Gegenüber Nau.ch gibt die Zürcherin zu bedenken: Es sei nicht richtig, Unrecht mit neuem Unrecht zu vergelten: «Wir dürfen Russen nicht pauschal in Sippenhaft nehmen.» Steinemann erachtet das «undifferenzierte Russen-Bashing» als unerträglich.
Russische Staatsbürger seien nicht mit Wladimir Putin gleichzusetzen. In Russland lebten Millionen von Menschen, die nichts dafür können, dass ihr Präsident ein «Autokrat und Kriegstreiber» sei. Dass ein russischer Pass als Anknüpfungspunkt für die Enteignungs-Überlegungen von Ignazio Cassis dienen sollte, sei hochgradig «diskriminierend, unsachlich und willkürlich». Steinemann fügt an: «Oligarchen – aber offenbar nur russische – sind die neuen Schiessbudenfiguren gewisser Politiker in Westeuropa.»
Die SVP-Nationalrätin vertritt die Ansicht, dass eine Enteignung russischer Oligarchen zentrale, rechtsstaatliche Prinzipien über Bord werfen würde: «In einem verlässlichen Rechtsstaat muss der Staat in einem korrekten Verfahren nachweisen, dass Gelder durch kriminelle Handlungen erworben wurden.» Nur dann sei eine Enteignung rechtmässig.
Fabian Molina ist mit Ignazio Cassis einer Meinung
SP-Nationalrat Fabian Molina vertritt seinerseits die gegenteilige Ansicht. Der Sozialdemokrat ist überzeugt: «Russland hat die Ukraine illegal und brutal angegriffen und damit unglaubliches Leid und Zerstörung angerichtet. Es ist nichts als fair, dass sich der Aggressor am Wiederaufbau der Ukraine beteiligt.»
Der Zürcher begrüsst die Bereitschaft von Ignazio Cassis, die Verwendung eingefrorener Oligarchen-Gelder in Abstimmung mit Partnerländern vertieft zu prüfen. Tatsächlich habe die SP dies bereits im Mai 2022 in einem Vorstoss vom Parlament gefordert. Ein entsprechendes Gesetz könne sich gemäss Molina an einem Vorschlag von Alt-Staatssekretär Michael Ambühl orientieren.
Dieser hatte in der «Frankfurter Allgemeine Zeitung» vorgeschlagen, dass im vorliegenden Falle eine «Umkehr der Beweislast» zur Anwendung kommen müsse. Demnach müssten die betroffenen russischen Staatsbürger ihrerseits beweisen, dass sie sich klar vom Kreml und dem Krieg distanzierten. Ansonsten könne der Staat die Vermögenswerte beschlagnahmen.