Initiative für Bürgerdienst im Nationalrat ohne Chance
Der Schweizer Nationalrat lehnt die Einführung eines Bürgerdienstes für alle ab und empfiehlt auch keinen Gegenvorschlag.

Der Nationalrat will keinen Bürgerdienst für alle Schweizerinnen und Schweizer einführen. Er hat am Mittwoch die Volksinitiative «Für eine engagierte Schweiz (Service-citoyen-Initiative)» deutlich zur Ablehnung empfohlen und will auch keinen Gegenvorschlag. Die grosse Kammer fällte ihren Entscheid mit 166 zu 19 Stimmen bei 3 Enthaltungen.
Sie folgte damit dem Entscheid der grossen Mehrheit ihrer Sicherheitspolitischen Kommission (SIK-N). Keine Chance hatte auch ein Rückweisungsantrag an die Kommission zur Ausarbeitung eines indirekten Gegenvorschlages mit einer Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit. Der Antrag scheiterte mit 126 zu 56 Stimmen bei 6 Enthaltungen.
Menschen in der Schweiz sollten so mehr Zeit für Freiwilligenarbeit erhalten. Für einen Gegenvorschlag setzten sich insbesondere SP, Grüne und Grünliberale ein. Als Nächstes muss sich der Ständerat mit dem Anliegen befassen.
Volk fordert Dienstleistung für Allgemeinheit
Die Volksinitiative verlangt, dass Schweizerinnen und Schweizer einen Dienst für Allgemeinheit und Umwelt leisten, eine Art Bürgerdienst. Das könnte entweder ein Dienst bei der Armee sein oder ein anderer, gleichwertiger Milizdienst.
Die Initiantinnen und Initianten hatten beim Einreichen ihres Begehrens 2023 viel Zuspruch erhalten: Laut dem Generationenbarometer des Forschungsinstituts Sotomo befürworteten 74 Prozent der Bevölkerung einen Service citoyen für alle. Die grosse Mehrheit im Nationalrat hatte zwar grundsätzlich auch einige Sympathie für das Anliegen, sah insgesamt aber doch zu viele Nachteile.
Schädlich für die Wirtschaft, zu teuer, falscher Schwerpunkt in der heutigen Bedrohungslage oder zum Nachteil der Frauen, waren die häufigsten Argumente der insgesamt 38 Ratsmitglieder, die ans Rednerpult traten. Gewogen waren der Initiative letztlich nur die Grünliberalen. «Wenn wir Gleichstellung ernst nehmen, brauchen wir Reformen», sagte Katja Christ (GLP/BL).
Gegenseitiges Verständnis durch Bürgerdienst
Die Initiative sei keine radikale, sondern eine konsequente Idee. «Jeder und jede profitiert von einer funktionierenden Schweiz». Die Initiative schaffe eine Lösung, die nicht einen Bereich auf Kosten des anderen schwäche, warb auch Marc Jost (EVP/BE) für das Anliegen. «Damit investieren wir in die Zukunft, weil Sicherheit so umfassend gedacht wird».
Auch Christine Badertscher (Grüne/BE) fand, ein Bürgerdienst bringe jungen Menschen das Prinzip des Milizsystems wieder näher, stärke das gegenseitige Verständnis und helfe mit, die grossen und kleinen Gräben in der Gesellschaft zu überwinden. Alle anderen Parteien warben für eine Nein-Empfehlung ans Stimmvolk.
Initiative als Angriff auf Wehrpflicht
Die Initiative sei ein Angriff auf die Wehrpflicht und die persönliche Freiheit der jungen Menschen in der Schweiz, erklärte Lukas Reimann (SVP/SG). Man hätte das Begehren sogar als ungültig erklären sollen, weil es ein «elementarer Eingriff in die Grundrechte» sei.
In der gegenwärtigen geopolitischen Lage könne sich die Schweiz eine Ausweitung des Milizsystems nicht erlauben, fürte Simone Gianini (FDP/TI) aus. «In normalen Zeiten hätten wir Wege finden können, um mindestens Teile der Initiative umzusetzen», sagte Reto Nause (Mitte/BE).
Bürgerdienst: Nachteil oder Vorteil für Frauen?
Oberste Priorität habe heute jedoch die Armee, die Unterbestände müssten rasch ausgeglichen werden. Nicole Barandun (Mitte/ZH) gab zu bedenken, ein Bürgerdienst führe nicht zu echter Gleichstellung, sondern zu neuen strukturellen Nachteilen für die Frauen. Deren Mehrfachbelastung würde so nur noch verstärkt.
Für Katharina Prelicz-Huber (Grüne/ZH) ist das Argument der Gleichstellung sogar «eine Frechheit». Verteidigungsministerin Viola Amherd sagte bei ihrem letzten Auftritt als Bundesrätin im Nationalrat, ein Bürgerdienst würde der Wirtschaft zu viele Mitarbeitende entziehen. Zudem gebe es gar nicht so viele Aufgaben für all die zusätzlichen Dienstleistenden.
Es fehle auch der direkte Bezug zur Sicherheit und es stelle sich die Frage, ob die Initiative nicht das Verbot der Zwangsarbeit verletze.