Nationalrat empfiehlt «Stopp Impfpflicht»-Initiative zur Ablehnung
Die Volksinitiative «Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit» findet im Nationalrat keine Mehrheit. Unterstützung gab es nur vereinzelt aus SVP-Kreisen.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Impfskeptiker-Initiative bleibt im Nationalrat chancenlos.
- Der Rat lehnte sie am Mittwoch mit 140 zu 35 Stimmen bei 8 Enthaltungen ab.
- Auch der SVP-Gegenvorschlag fand keine Unterstützung.
Der Nationalrat empfiehlt ein Nein zur von Impfskeptikern und -skeptikerinnen eingereichten Volksinitiative «Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit» und will auch keinen Gegenvorschlag dazu. Unterstützung erhielten Initiative und Gegenvorschläge einzig aus der SVP-Fraktion.
Das Begehren fordert in der Verfassung das Grundrecht für alle, selbst bestimmen zu können, was in den Körper gespritzt oder implantiert wird. Die Forderung bezieht sich laut Initiativkomitee nicht nur auf die Covid-19-Pandemie. Sie soll auch gelten «für Impfstoffe, für Chips, für digitale Informationen im Körper».
Zu allgemein formuliert
Die Rechtskommission (RK-N) hielt die Initiative für zu allgemein formuliert und empfahl ein Nein. Der Rat folgte ihr am Mittwoch mit 140 zu 35 Stimmen bei 8 Enthaltungen. Die Mehrheit befürchtete unerwünschte Auswirkungen des Begehrens, etwa im Strafvollzug oder bei der Entnahme von DNA.
Die SVP wollte aber die Selbstbestimmung in Sachen Impfen oder in Bezug auf «jedes andere biomedizinische Verfahren» mit einem Gegenvorschlag aufnehmen. Ihre Anträge für einen direkten oder indirekten Gegenvorschlag waren aber chancenlos.
Patricia von Falkenstein (LDP/BS) sagte namens der Mehrheit, die Initiative gehe weit über das Impfen hinaus, führe zu Rechtsunsicherheit und wecke falsche Erwartungen. Es sei nicht Aufgabe des Parlaments, missglückte Initiativen zu korrigieren, sagte von Falkenstein zur Forderung nach Gegenvorschlägen.
Ausnahmen vom Schutz der Grundrechte seien angezeigt, wenn es um das Interesse der Allgemeinheit gehe, sagte Nicolas Walder (Grüne/GE). Alexandre Berthoud (FDP/VD) fügte bei, Massnahmen des Erwachsenenschutzes wären nach einer Annahme der Initiative nicht mehr möglich. Gegen seinen Willen dürfe niemand geimpft werden.
Strenge Voraussetzung für Obligatorium
Nach geltendem Recht ist ein Impfobligatorium zwar möglich, kann aber nur unter strengen Voraussetzungen, für einen begrenzten Personenkreis und befristet erlassen werden. Wer sich nicht impfen lässt, wird nicht bestraft, kann aber von bestimmten Tätigkeiten – beispielsweise im Spital – ausgeschlossen werden.
Min Li Marti (SP/ZH) nannte Impfungen einen medizinischen Segen. Krankheiten wie Kinderlähmung und Pocken seien dank Impfungen zum Verschwinden gebracht worden. Der Schutz der Schwachen könne dazu führen, dass Starke oder nicht Betroffene gewisse Massnahmen über sich ergehen lassen müssten, meinte Beat Flach (GLP/AG).
Sei die Initiative zu allgemein formuliert, könne mit einem Gegenvorschlag Abhilfe geschaffen werden, entgegnete Pirmin Schwander (SVP/SZ). «Bis vor drei Jahren war ich überzeugt, dass die körperliche und geistige Unversehrtheit unantastbar ist», erinnerte er an die Zertifikatspflicht während der Covid-19-Pandemie. Die von der Mehrheit ins Feld geführten heutigen Verfassungsbestimmungen zum Schutz der Grundrechte genügten offensichtlich nicht.
Das Komitee sei offen für einen Rückzug der Initiative, falls ein Gegenvorschlag ausgearbeitet werde, sagte Jean-Luc Addor (SVP/VS). In der Pandemie habe es wegen des Impfens Zwangssituationen gegeben, etwa für Studierende und Armeeangehörige, doppelte Lukas Reimann (SVP/SG) nach. «Über Selbstschutz sollte jeder selbst entscheiden.»
Belächelt oder ausgegrenzt
Wer nicht nach der Musik des Bundesamtes für Gesundheit und der Medien tanze, werde mindestens belächelt oder sogar ausgegrenzt, sagte Yvette Estermann (SVP/LU). Viele ihrer Mediziner-Kollegen hätten in der Pandemie nicht impfen wollen und hätten dies «böse zu spüren» bekommen.
Der Bundesrat stellt sich gegen die Initiative und will auch keinen Gegenvorschlag. Sie gehe weit über das Impfen hinaus, sagte Gesundheitsminister Alain Berset im Rat. Der Text – und nur auf diesen komme es bei einer Umsetzung an – würde staatliches Handeln in vielen Belangen verunmöglichen. Nun ist der Ständerat am Zug.
Zu den Urhebern der Ende 2021 von der Freiheitlichen Bewegung Schweiz mit rund 125'000 gültigen Unterschriften eingereichten «Stopp Impfpflicht»-Initiative gehören Yvette Estermann, der Komiker Marco Rima sowie der Impfkritiker Daniel Trappitsch. Trappitsch bekämpfte in der Vergangenheit etwa das Tierseuchen- und das Epidemiengesetz.