Trotz Pflegeinitiative: «Situation hat sich weiter zugespitzt»
Vor einem Jahr hat das Schweizer Stimmvolk die Pflegeinitiative angenommen. Heute demonstrieren Pflegende in Bern. Denn geändert habe sich nichts.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Nationalrat beschäftigt sich nächste Woche mit der Umsetzung der Pflegeinitiative.
- Doch der Verband schlägt Alarm: Weiterhin verlassen 300 Pflegende pro Monat den Beruf.
- Am Samstag fordert er deshalb an einer Kundgebung in Bern fünf Sofortmassnahmen.
An der Volksabstimmung vom 28. November 2021 hat das Volk die Pflegeinitiative mit einem Ja-Anteil von 61 Prozent angenommen. Bund und Kantone müssen nun sicherstellen, dass genügend diplomierte Pflegefachpersonen zur Verfügung stehen. Zudem sollen die Arbeitsbedingungen verbessert werden.
Der politische Prozess zur Umsetzung wurde rasch in Gang gesetzt. Bereits im Januar 2022 hat der Bundesrat entschieden, die Pflegeinitiative in zwei Paketen umzusetzen. Mit dem ersten soll die Ausbildungsoffensive und die direkte Abrechnung rasch eingeführt werden. Mehr Zeit lassen will er sich für die Umsetzung besserer Arbeitsbedingungen und Abgeltungen.
Der Ständerat hat dem ersten Paket bereits zugestimmt, ab nächster Woche befasst sich der Nationalrat damit. Christina Schumacher vom Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK anerkennt: «Das Bundesparlament arbeitet so schnell, wie dies im politischen Prozess möglich ist.» An den Arbeitsbedingungen habe sich allerdings im letzten Jahr im Alltag nichts verändert.
«Jeden Monat verlassen 300 Pflegende den Beruf»
«Die Situation für die Pflege hat sich entsprechend noch weiter zugespitzt. Jeden Monat verlassen 300 Pflegende den Beruf, die eigentlich absolut unentbehrlich sind», erklärt Schumacher. Dies erhöhe den Druck auf die verbleibenden Personen weiter. In den meisten Spitälern seien Betten aufgrund des Pflegenotstandes bereits geschlossen.
Deshalb könne nun nicht auf die Umsetzung der Pflegeinitiative gewartet werden. Doch Bund und Kantone würden sich gegenseitig die Verantwortung zuschieben, klagt der SBK: «Wie wir bereits die ganze Zeit über betonen, wäre es jetzt an den Kantonen und den Institutionen Sofortmassnahmen zu ergreifen.» Zwar gebe es einige erfreuliche Beispiele, im Grossen und Ganzen werde aber zu wenig gemacht.
Sofortmassnahmen vor Umsetzung der Pflegeinitiative gefordert
Konkret fordert der Pflegeverband zusammen mit den Gewerkschaften Unia, VPOD und Syna fünf Sofortmassnahmen. Dazu gehören eine deutliche Erhöhung der Löhne und Zulagen sowie die Einführung von Zulagen für kurzfristige Dienstplanänderungen. Weiter sollen alle Pflegenden mindestens fünf Wochen Ferien erhalten, ab 50 Jahren mehr.
Auch bei der Arbeitserfassung brauche es Verbesserungen. Neu soll die tatsächliche Zeit erfasst und abgegolten werden, also inklusive Umkleidezeit und Wegzeit zwischen Spitex-Einsätzen. Die fünfte Forderung betrifft Zuschüsse für familienergänzende Kinderbetreuung.
Um den Forderungen Gehör zu verschaffen, demonstrieren heute Nachmittag mehrere Hundert Pflegende auf dem Bundesplatz in Bern.