Ukraine-Krieg: Milliardenhilfe für Wiederaufbau spaltet Bundesrat
Laut Ignazio Cassis sollen über zehn Jahre sechs Milliarden für den Ukraine-Wiederaufbau aufgewendet werden. Woher das Geld kommen soll, spaltet den Bundesrat.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Wiederaufbau in der Ukraine kostet gemäss Schätzungen rund 400 Milliarden US-Dollar.
- Die Schweiz soll sich der Wirtschaftsleistung entsprechend solidarisch daran beteiligen.
- Das sind sechs Milliarden Franken: Woher dieser Betrag kommen soll, spaltet den Bundesrat.
Nach langer Spekulation soll bald Klarheit herrschen – heute diskutiert der Bundesrat über die Finanzierung des Wiederaufbaus der Ukraine. Dabei soll einerseits die Frage geklärt werden, wie viel Geld dafür zur Verfügung gestellt werden soll. Andererseits wird sich die Landesregierung auch der Frage widmen, woher die Mittel kommen sollen, wie der «Tages-Anzeiger» berichtet.
FDP-Aussenminister Ignazio Cassis war ursprünglich überzeugt, dass der Ukraine-Wiederaufbau nicht auf Kosten anderer Projekte der internationalen Zusammenarbeit (IZA) stattfinden dürfe. Lediglich der für die Jahre 2025 bis 2028 geplante Ausbau dieses Budgetpostens werde für die Ukraine reserviert. Die Summe für andere humanitäre Ausgaben hingegen müsse gleich bleiben, wie Cassis bereits im Frühling ankündigte.
Bundesbudget in Bredouille
Vor dem Hintergrund wachsender Budgetprobleme scheint dieser Plan jetzt aber endgültig vom Tisch zu sein, wie der «Tages-Anzeiger» weiter berichtet: Die Ukraine-Hilfe soll doch über Einsparungen bei humanitären Projekten finanziert werden. Denn der finanzielle Handlungsspielraum beim Bund wird immer kleiner.
Während sich die Finanzplanung für das Jahr 2024 noch vergleichsweise einfach gestaltet, öffnen sich ab 2025 wachsende Löcher im Bundesbudget: Gemäss Prognosen des Finanzdepartements droht dem Bund schon 2025 ein strukturelles Defizit von 2,4 Milliarden Franken. In den Folgejahren sollen diese Fehlbeträge gar noch kontinuierlich ansteigen – bis auf 3,9 Milliarden Franken im Jahr 2032.
Sechs Milliarden für den Ukraine-Wiederaufbau
Aus diesem Grund will die Landesregierung heute eine diesbezügliche Aussprache führen, wie der «Tages-Anzeiger» aus «gut unterrichteter Quelle» wissen will. Ignazio Cassis wolle seinen Amtskollegen demnach ein Budget von sechs Milliarden über zehn Jahre vorschlagen: 600 Millionen Franken pro Jahr von 2025 bis 2034.
Gemäss Berechnungen der Bundesverwaltung entspreche dies demjenigen Betrag, den die Schweiz aufwerfen muss, um sich solidarisch am Wiederaufbau zu beteiligen. Gemessen an der Wirtschaftsleistung. Denn die Kosten für den Wiederaufbau der Ukraine werden insgesamt auf über 400 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Sechs Milliarden Franken entsprechen ungefähr den Gesamtkosten für die 36 neuen F-35-Kampfjets des Bundes. 600 Millionen jährlich sind ein Zehntel des gesamten jährlichen Sicherheits- und Verteidigungsetats der Eidgenossenschaft – eine Menge Geld also!
Zwei Drittel aus der Entwicklungshilfe
Dafür will Cassis per Bundesgesetz einen Fonds ins Leben rufen: Der Tessiner schlägt vor, zwei Drittel davon aus dem IZA-Budget zu finanzieren, ein Drittel aus dem allgemeinen Bundeshaushalt. Knapp vier Milliarden müssten also bei anderen Projekten der Entwicklungs- und Nothilfe eingespart werden.
Als Alternativen stelle Cassis einen IZA-Anteil von 60 oder 70 Prozent zur Diskussion. Für SVP-Wirtschaftsminister Guy Parmelin und FDP-Finanzministerin Karin Keller-Sutter nicht genug: Sie fordern, dass 90 Prozent der Kosten aus dem IZA-Budget finanziert werden, wie der «Tages-Anzeiger» berichtet.
Linke wollen zusätzliche Ausgabe
Anders sieht es die Linke im Bundesrat: Innenminister Alain Berset schlägt vor, den Ukraine-Wiederaufbau als zusätzliche ausserordentliche Ausgabe an der Schuldenbremse vorbeizuschleusen – wie die Corona-Hilfspakete. Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider wiederum verlangt, dass der Bund hierfür die Einführung einer Finanzmarkt-Transaktionssteuer prüfe.
Denn Cassis' Vorschlag würde bedeuten, dass für die Entwicklungshilfe im globalen Süden erheblich weniger Mittel zur Verfügung stünden: 13 Prozent des bisherigen IZA-Budgets müssten nämlich in diesen «Marshallplan» im europäischen Osten umgeleitet werden.
Finanzkommission gegen Cassis
Auch die Finanzkommission des Nationalrates ist anderer Ansicht als Ignazio Cassis: Sie hat kürzlich einen Vorstoss zum Thema eingereicht. Demnach soll das Parlament den Bundesrat beauftragen, einen Fonds zu schaffen, der nicht über das bisherige IZA-Budget finanziert wird.
Stattdessen sollen die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden, um den Betrag – im Sinne von Berset – ausserordentlich zu verbuchen: Nimmt das Parlament diesen Vorstoss an, müsste der Bundesrat eine ausserordentliche Finanzierung des Marshallplans für die Ukraine ermöglichen.