Vaterschaftsurlaub: Abstimmung trotz Unterschriften-Betrug
Das Referendum zur Papi-Zeit kam zustande. Recherchen belegen allerdings: Bürger wurden gezielt getäuscht. Politiker wollen dieser Praxis den Riegel schieben.
Das Wichtigste in Kürze
- Unterschriften sammeln gegen Geld und mit falschen Argumenten ist eine übliche Praxis.
- Trotz Beweisen: Die Bundeskanzlei erklärt das Referendum gegen eine Papi-Zeit als gültig.
- Politiker sind empört und sehen die Demokratie gefährdet – sie fordern Konsequenzen.
Nau.ch berichtete Mitte Januar, «RTS» doppelte am Sonntag nach: Bei der Unterschriftensammlung zum Referendum zur zweiwöchigen Papi-Zeit wurde betrogen. Sammler köderten Passanten nämlich damit, Unterschriften FÜR einen Vaterschaftsurlaub zu sammeln.
In Wahrheit aber will das Referendum die vom Parlament beschlossene Papi-Zeit verhindern. Wer unterschrieb, tat dies also in falschem Glauben. Belegt sind die Fälle mindestens in Bern und Lausanne.
Trotzdem: «Das Referendum ist gültig zustande gekommen», sagt Urs Bruderer, stellvertretender Kommunikationsleiter der Bundeskanzlei. Die 50'000 erforderlichen Unterschriften seien erreicht. Die Berichte habe man zur Kenntnis genommen.
Doch: «Die Bundeskanzlei hat keinen gesetzlichen Auftrag zu überwachen, wie Unterschriften für ein Volksbegehren gesammelt werden oder aus welchen Gründen Stimmberechtigte ein Volksbegehren unterstützen.» Man könne deshalb keine Wiederholung anordnen – Beweise hin oder her.
Ausländische Promoter erhalten einen Franken pro Unterschrift
Für SP-Nationalrat Jon Pult ist klar: «Die Menschen werden betrogen, die freie Meinungsbildung wird mit Füssen getreten.» Zudem seien «diese Betrügereien» ein Hohn für alle ehrlichen Unterschriften-Sammelnden. «Es ist skandalös», so Pult.
«Die Referendumsführer tragen zumindest eine moralische Mitverantwortung und sollten sich entschuldigen.» Sie müssten ausserdem transparent machen, wem sie wie viel bezahlt haben für die Unterschriftensammlung.
Die Lausanner PR-Agentur Vox Communication und der Verein Incop Schweiz – beauftragt vom Referendumskomitee Papi-Zeit – schickten nämlich Temporär-Angestellte auf Unterschriften-Jagd. Die Sammler kommen aus Italien oder Frankreich, wie ein Ex-Mitarbeiter gegenüber «RTS» berichtet. Einen Franken erhalten sie pro Unterschrift, das Schweizer System kennen sie häufig nicht.
Der Betrug ist systematisch
Bereits vor einem Jahr hatte der Walliser SP-Nationalrat Mathias Reynard auf das Problem aufmerksam gemacht. In flagranti erwischte er Unterschriftensammler, die gegen seine Homophobie-Initiative unterwegs waren – aber mit seinen Argumenten warben.
.Voilà les méthodes utilisées. Dans de nombreuses villes suisses. Quand on n’a pas d’arguments, on utilise le mensonge pour duper les citoyens. Faire signer un texte homophobe en prétendant lutter contre l’homophobie. Quelle honte et quel tort pour la démocratie directe! pic.twitter.com/emO6iK9iKn
— Mathias Reynard (@MathiasReynard) March 29, 2019
Im Dezember reichte der Neuenburger Nationalrat Baptiste Hurni eine Motion im Parlament ein, um den Betrug bei Unterschriftensammlungen zu bekämpfen. «Das Hauptproblem ist die Bereitschaft, den Bürger zu täuschen», erklärt der SP-Nationalrat.
«Es geht nicht um ein Argument, mit dem man nicht einverstanden ist, sondern um Lügen, um den Bürger bewusst zu täuschen.» Ohne Vertrauen zwischen Politik und Bürgern könne das politische System aber nicht funktionieren.
«Die Bezahlung für das Sammeln von Unterschriften ist ein Anreiz, so viel wie möglich zu sammeln – unabhängig von den Argumenten.» Gemäss Hurni handelt es sich nicht um Einzelfälle.
«Unseren Informationen zufolge ist der Betrug, zumindest in der französischen Schweiz, massiv, um nicht zu sagen systematisch.» Eine «sehr grosse Zahl von Menschen» werde getäuscht. «Dies ist inakzeptabel.»
Kein Verbot, aber Strafe bei Betrug
Unterschriftensammeln für Geld zu verbieten, finden Baptiste Hurni und Jon Pult übertrieben. Aber: «Es braucht Strafbestimmungen gegen das betrügerische oder irreführende Unterschriftensammeln, darum unterstütze ich die Motion Hurni», so Pult.
Und er fordert: «Die Bundeskanzlei sollte die Referendumsführenden zitieren und mit ihnen die Problematik besprechen sowie allenfalls rügen.» Gesetzlich allerdings sind der Bundeskanzlei heute die Hände gebunden, bestätigt Urs Bruderer.