Von «Energiewende mit der Brechstange» und «ewiggestrigen Gegnern»
Das Wichtigste in Kürze
- Die Versorgungssicherheit hat für die Bevölkerung erste Priorität, zeigt eine GFS-Studie.
- Der aktuelle Kurs des Bundesrats, Solaranlagen und Windräder, erhalten Zustimmung.
- In Bezug auf das Klimaschutz-Gesetz sehen sich sowohl Gegner wie Befürworter bestätigt.
Eine repräsentative GFS-Umfrage förderte jüngst interessante Erkenntnisse zutage: Herr und Frau Schweizer wollen bei der Energiewende vorwärtsmachen – aber nicht um jeden Preis: Im Trilemma zwischen Versorgungssicherheit, Klimaneutralität und bezahlbaren Strompreisen hat die Versorgungssicherheit weiterhin oberste Priorität.
Eine deutliche Mehrheit der Befragten (68 Prozent) vertritt die Ansicht, dass die Schweiz die Energiewende «viel zu langsam» vorantreibe. Gleichzeitig ist eine vergleichbare Mehrheit (63 Prozent) überzeugt, dass erneuerbare Energieträger «bei Weitem» nicht ausreichten, um den Strombedarf zu decken.
Nau.ch hat bei Befürwortern und Gegnern des «Klima- und Innovationsgesetzes» nachgefragt, wie die Umfrageresultate mit Blick auf den 18. Juni zu interpretieren sind.
Mitte-Müller-Altermatt: «Ewiggestrige» Energiewende-Gegner
Für Mitte-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt stellen die Ergebnisse einerseits eine Bestätigung der Stossrichtung im Abstimmungskampf dar. Andererseits bestätigten dieselben aber auch die Energie- und Klimapolitik der Mitte-Partei im Allgemeinen: «Die Mitte kämpft konsequent für die Versorgungssicherheit mit erneuerbaren Energien.»
Die Umfrageresultate zeigten, dass die «ewiggestrigen Gegner der Energiewende» gegen den Volkswillen agierten. Die Umfrage verdeutliche nämlich, dass eine «überwältigende Mehrheit» der Bevölkerung den von Doris Leuthard und Simonetta Sommaruga eingeschlagenen Kurs trage. Trotzdem drehe die Junge SVP diffamierende Videos über die ehemaligen Energieministerinnen.
SVP-Imark: «Energiewende nicht mit der Brechstange herbeizwingen»
SVP-Nationalrat Christian Imark wiederum fühlt sich in der Abstimmungskampagne gegen das «Stromfresser-Gesetz» bestätigt. Dass die Versorgungssicherheit für die Mehrheit der Befragten von vordergründiger Bedeutung ist, sei keine Überraschung.
Entscheidend sei, dass beide Problemstellungen unterschiedliche Zeithorizonte haben: «Wenn wir den CO2-Ausstoss nicht reduzieren, dann ist das ‹nur› längerfristig problematisch. Wenn wir keinen Strom mehr haben, dann haben wir sofort ein riesiges Problem.»
Der Solothurner ist überzeugt: «Niemand hat etwas gegen erneuerbare Energien. Aber man kann die Energiewende nicht mit der Brechstange von heute auf morgen herbeizwingen – sonst riskieren wir den Wohlstand.»
Eine Zukunft ohne Kernkraft?
Weiter stechen die Antworten zu Fragen über die zukünftige Energieproduktion ins Auge: 97 Prozent befürworten den Ausbau von Solaranlagen auf Gebäuden und an Fassaden. 89 Prozent befürworten den Ausbau der Wasserkraft, 76 Prozent denjenigen der Windkraft.
Nur ein Drittel (34 Prozent) würden den Bau von Atomkraftwerken der aktuellen Generation als Massnahme gegen allfällige Strommangellagen begrüssen. Den Bau von Atomkraftwerken der vierten Generation wiederum würden 43 Prozent der Befragten befürworten.
Müller-Altermatt interpretiert auch diese Ergebnisse als eine Bestätigung der Ja-Kampagne: «Der schrittweise Atomausstieg ist richtig und wird getragen.» Imark widerspricht: Längerfristig werde das Verbot von neuen Kernkraftwerken zum Risiko für die Versorgungssicherheit. «Wenn das Verbot nicht gelockert wird, müssen wir die älteren Reaktoren auf Biegen und Brechen am Netz behalten.»
Nicht um jeden Preis?
Schliesslich sind 52 Prozent der Bevölkerung der Ansicht, dass die Energiewende derzeit keine zu grossen Kosten verursache. 31 Prozent der Befragten wären «auf jeden Fall bereit», auf «liebgewonnene Gewohnheiten» zu verzichten, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. 41 Prozent wären «eher bereit» dafür – wenigstens, solange dieselben ungenannt und abstrakt bleiben.
Gleichzeitig wäre weniger als die Hälfte der Bevölkerung bereit oder in der Lage, 10'000 Franken oder mehr zu investieren. Um breitflächig Gebäudesanierungen vorzunehmen oder Photovoltaikanlagen zu installieren, wären Investitionen dieser Grössenordnung aber zwangsläufig nötig.
Dennoch sieht sich der Mitte-Nationalrat auch hier bestätigt – die Resultate zeigten, dass die Legislative das Gesetz richtig konstruiert habe: Das Gesetz komme nämlich ohne Verbote und Abgaben aus. Ferner hätten sowohl Ölheizungen als auch Hausdächer ohnehin eine begrenzte Lebensdauer – Investitionen müssten sowieso getätigt werden.
Klangschöne Absichten – aber ein Etikettenschwindel?
Imark sieht allerdings genau hier eine Schwachstelle der Vorlage. Derzeit sei nämlich völlig unklar, wie die Zielvorgaben erreicht werden sollten: «Diese Ziele im Gesetz zu verankern, wird unweigerlich zu Mehrkosten führen. Nur weil die Vorlage keine konkreten Verbote beinhaltet, heisst dies nicht, dass sie ohne Verbote umgesetzt werden kann.»
Dass die Zielerreichung Mehrkosten verursacht, hätten mehrere Studien gezeigt, erklärt der SVP-Nationalrat: «Ich behafte mich nicht auf genaue Beträge. Aber wenn man den Leuten preisintensive Sachen unter Verschleierung der potenziellen Kosten vorschreibt, ist das problematisch.»
Idealer Nährboden für den Abstimmungskampf
In ihrer Gesamtheit bildet die GFS-Umfrage also einen idealen Nährboden, um den Abstimmungskampf bis zum Urnengang am 18. Juni weiterzuführen: Sowohl Gegner als auch Befürworter der Vorlage sehen sich durch Teilaspekte der Umfrageergebnisse bestätigt.
Wie werden Sie am 18. Juni 2023 zum «Klima- und Innovationsgesetz» abstimmen?
Tatsächlich hatte die Hälfte der Befragten angegeben, dass sie mit dem derzeitigen Kurs der Schweizer Energiepolitik «eher einverstanden» seien. Neun weitere Prozent gaben ihrerseits an, mit der Energiepolitik «sehr einverstanden» zu sein.
Ob die Zufriedenheit mit dem derzeitigen Kurs automatisch als «Carte Blanche» für weitere Verschärfungen interpretiert werden kann, ist allerdings fraglich: Schliesslich könnte diese Zufriedenheit ebenso gut auf ein «weiter-wie-bisher-Szenario» verweisen.
Primär deuten diese Resultate aber darauf hin, dass Energiepolitik die Stimmbevölkerung gegenwärtig nicht besonders stark polarisiert, wie die Studienautoren erklären. Drei Viertel der Befragten haben nämlich keine dezidierte Meinung: 50 Prozent sind «eher einverstanden» und 27 Prozent «eher nicht einverstanden».