Wahlen 2023: Claude Longchamp rechnet nur mit kleinen Verschiebungen
In einer Woche werden National- und Ständerat neu gewählt: Claude Longchamp spricht mit Nau.ch über die zu erwartenden Resultate bei den Wahlen 2023.
Das Wichtigste in Kürze
- Schon in einer Woche gehen die Wahlen 2023 über die Bühne.
- Politologe Claude Longchamp erwartet eine Trendumkehr bezüglich der Wahlen 2019.
- Starke Sitzverschiebungen wären wegen einiger Schweizer Eigenheiten aber überraschend.
Die Wahlen 2023 finden in einer Woche statt. Politologe Claude Longchamp hat mit Nau.ch über seine Erwartungen und Prognosen geredet. Es wird wohl eine Trendwende geben: Die Gewinner von 2019 werden zu Verlierern, und umgekehrt.
Plus zwei bis vier Prozent für die SVP
Die Grünen etwa, die 2019 ein «Jahrhundertereignis» mit sechs Prozent mehr Stimmen erfuhren, müssen mit Verlusten rechnen. «Da kann es durchaus zu einem Trend weg von den Grünen und hin zur SP kommen», so Longchamp. Die Linken würden so insgesamt etwa gleich stark bleiben, womöglich nur ein wenig geschwächt. Die SVP hingegen, welche 2019 eine Wahlschlappe einstecken musste, dürfte bei den Wahlen 2023 gestärkt zurückkommen.
«Wenn ein Partei vier Prozent verliert, dann lautet die Faustregel: Bei den nächsten Wahlen wird es umgekehrt sein», erklärt Claude Longchamp. Wie hoch der Gewinn für die SVP sein werde, sei ungewiss. Longchamp rechne aber mit «etwas zwischen zwei oder vier Prozent».
SP darf hoffen, FDP muss bangen
«Gut denkbar» sei eben auch eine Trendumkehr bei der SP, die letzte Wahlen ein wenig verloren hatten. Bei der Mitte-Partei sei dagegen die Prognose schwierig. Nach der Fusion von CVP und BDP müsse man eigentlich von einer neuen Partei reden. Die GLP dürfte etwa auf demselben Niveau verharren, werde aber wohl Sitze verlieren, da sie 2019 «ganz viel Proporz-Glück hatte».
Für die Freisinnigen zeige die Kurve der Wählwilligen in Umfragen aber seit einiger Zeit abwärts, so Longchamp. «Wahrscheinlich war die Wende das CS-Debakel«, vermutet Longchamp, denn dieses werde relativ stark mit der FDP in Verbindung gebracht. Trotzdem gehe er davon aus, dass die FDP im Ständerat – trotz Verlusten im Nationalrat – an Sitzen gewinnen könnte.
Wahlen 2023: Legislatur von Krisen gezeichnet
Die Wahlen 2023 seien oberflächlich von einem «Krisenphänomen» gezeichnet, analysiert Longchamp. «Es ist das Hauptwort dieser Legislatur: Angefangen mit der Pandemie, weitergegangen mit dem Ukraine-Krieg, jetzt mit dem kriegerischen Konflikt in Israel.» Der Aufbau von Themen innerhalb der Parteien wurde so immer wieder gestört.
Auf einer zweiten Ebene hätten andere Themen dominiert; so etwa die Migration bei der SVP oder die Lebenshaltungskosten für die Linken. Diese seien aber eher «zur Eigenprofilierung als zur Beeinflussung der Wählerschaft» benutzt worden.
So oder so: Relevant werden nicht Prozente sein, sondern Sitzgewinne und bei diesen wird gemeinhin nur mit minimalen Verschiebungen gerechnet. Grund dafür seien die Kantone, erklärt Longchamp, die mehrheitlich relativ kleine Wahlkreise bilden.
In bevölkerungsarmen Kantonen komme es fast nie zu einem Wechsel, ausser der oder die Bisherige trete zurück. In den 14 mittelgrossen Kantonen mit zwei bis neun Sitzen, wie Luzern oder Jura, bestehe ein «beschränkter Proporz». Für Sitzverschiebungen braucht es also viel.
Mehr Polarisierung, aber wenig Veränderung
Nur in fünf oder sechs Kantonen könne es bei den Wahlen 2023 zu einer wirklichen Veränderung kommen: Entweder durch Rücktritte, Machtverschiebungen zwischen den Parteien oder schlicht Glück bei der Verteilung der Restmandate. In grösseren Kantonen, wie Zürich, Bern oder Waadt, spiele die nationale Volatilität dann eher «eine gewisse Rolle». Auf nationaler Ebene aber sei diese aufgrund der Grössen der Wahlkreise eingeschränkt.
Zur oft beklagten Polarisierung sagt Longchamp: Zweifelslos habe die rhetorische Polarisierung zugenommen. Gemäss einer Forscherin der Universität Basel seien aber die politischen Konzepte nicht polarisierter geworden, sondern die Identitäten. «Ein Bürgerlicher profiliert sich als bodenständig, während eine linke Frau eine Feministin ist», erläutert der Politologe. «Das hat zweifelsfrei auch zugenommen.»