EU steht vor wochenlangem Ringen um Juncker-Nachfolge
Der EU steht ein wochenlanges Ringen um die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bevor.
Das Wichtigste in Kürze
- Merkel verteidigt bei Gipfel Weber gegen Einwände Macrons.
Die EU-Staats- und Regierungschefs wiesen bei einem Sondergipfel am Dienstag in Brüssel die Forderung aus dem EU-Parlament zurück, nur einen Spitzenkandidaten der Parteien bei der Europawahl zuzulassen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) musste den CSU-Politiker Manfred Weber gegen Einwände unter anderem aus Frankreich verteidigen, er verfüge nicht über ausreichende Erfahrung.
Es gebe in der Frage des künftigen Kommissionspräsidenten «keinen Automatismus», sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk nach dem Treffen. Es könne «niemand ausgeschlossen werden».
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte, die EU brauche «die Qualifiziertesten» und «die Besten» für ihre Spitzenjobs. Dies erfordere eine «grosse Erfahrung». Macron hatte im Vorfeld des Gipfels gefordert, für das Amt des Kommissionschefs sei Erfahrung in einer Regierung oder der EU-Kommission «unbestreitbar ein wichtiges Kriterium».
Weber als Spitzenkandidat von Merkels Europäischer Volkspartei (EVP) fehlt solche Erfahrung. Er sitzt seit 2004 im EU-Parlament und ist seit 2014 Fraktionschef der EVP.
Merkel wies dies die Einwände gegen den CSU-Politiker zurück. Sie warne davor, dem EU-Parlament zu sagen, dass Erfahrung dort nicht ausreiche, um das Amt zu bekommen, sagte die Kanzlerin. «Ich glaube, mit der Währung sollten wir nicht miteinander umgehen.»
Durch das Ergebnis der Europawahl wird eine Suche nach einem neuen Kommissionschef schwierig. Konservative und Sozialdemokraten wurden zwar wieder stärkste und zweitstärkste Fraktion im Europaparlament. Wegen deutlicher Verluste kommen aber beide zusammen nicht mehr auf eine absolute Mehrheit in der EU-Volksvertretung. Deshalb sind mindestens drei Fraktionen nötig, um einen neuen Kommissionspräsidenten zu küren.
Die Mehrheit der Fraktionsvorsitzenden im EU-Parlament sprach sich vor dem Gipfel für die Ernennung eines Spitzenkandidaten als Juncker-Nachfolger aus. In einer gemeinsamen Erklärung hiess es, dies diene der «Stärkung von Europas Demokratie». Die liberale Fraktion im EU-Parlament, zu der auch Macrons Partei gehört, bekräftigte jedoch ihre Ablehnung des Spitzenkandidaten-Konzepts.
Macron nannte in Brüssel die dänische EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, den französischen Brexit-Beauftragten Michel Barnier und den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Frans Timmermans als Kandidaten mit ausreichenden Kompetenzen.
Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez warb für den Sozialdemokraten Timmermans. Der aktuelle Juncker-Stellvertreter sei «der beste Kandidat», sagte der Sozialist. Der niederländische Ex-Aussenminister habe «die Qualifikationen, die Erfahrung». Der liberale Luxemburger Regierungschef Xavier Bettel lobte dagegen Vestager als «starke Kandidatin» mit herausragendem Lebenslauf.
Allerdings ist eine Wahl eines Kommissionspräsidenten ohne die konservative EVP rechnerisch nicht möglich. Möglich wäre aber eine Allianz aus EVP, Sozialdemokraten und Grünen ohne Macrons Liberale.
Bei der Besetzung von EU-Spitzenposten sei ein «Gleichgewicht» nötig, das «die Unterschiedlichkeit der Union» mit Blick auf geografische Gegebenheiten und die Grösse von Ländern widerspiegle, sagte Tusk. Neben dem Kommissionspräsidenten müssen auch die Ämter des EU-Parlamentspräsidenten, des Ratspräsidenten, der EU-Aussenbeauftragten und des EZB-Präsidenten neu vergeben werden.
Er wolle dabei «mindestens zwei Frauen» für die Spitzenposten finden, sagte Tusk. Für diesen Vorschlag habe es auch bei den Staats- und Regierungschefs eine «sichtbare Mehrheit» gegeben, betonte er. «Ob es möglich ist, werden wir sehen», schränkte er ein.
Er hoffe, dass er bis zum nächsten Gipfel am 20. und 21. Juni «Klarheit zu allen diesen Posten» geben werde, sagte Tusk. Merkel forderte, dann müssten die Staats- und Regierungschefs «Handlungsfähigkeit» beweisen und eine konstruktive Lösung finden.