Tunesiens Präsident entlässt 57 Richter
Der tunesische Präsident Kaïs Saïed hat 57 Richter entlassen und seine Macht über das Justizsystem des Landes deutlich ausgebaut.
Das Wichtigste in Kürze
- Saïed herrscht seit fast einem Jahr mit Hilfe von Dekreten.
In der Nacht zum Donnerstag wurde ein Dekret veröffentlicht, in dem die Abberufung der Richter wegen «der Verheimlichung von Terrorangelegenheiten», «Korruption», «sexueller Belästigung», «Geheimabsprachen» mit politischen Parteien und «Störung der Funktionsweise der Justiz» bekannt gegeben wurde. Saïed hatte zuvor eine «historische Entscheidung» angekündigt.
Unter den entlassenen Richtern, die mit Strafverfahren rechnen müssen, befinden sich ein früherer Sprecher der Anti-Terror-Einheit, ein früherer Chef der Zollbehörden und der frühere Chef des obersten Richterrats. Abgesetzt wurden aber auch die Richter, die Ermittlungen zu den Morden an den beiden linksgerichteten Politikern Chokri Belaid und Mohamed Brahmi im Jahr 2013 behindert haben sollten. Diese Ermittlungen kommen seit Jahren nicht voran, der Verdacht richtet sich gegen Islamisten.
Um die Richter entlassen zu können, machte Saïed eine «Bedrohung der öffentlichen Sicherheit oder des übergeordneten Interesses des Landes» geltend. Das tunesische Parlament wurde seit dem Arabischen Frühling 2011, bei dem der Diktator Zine El Abidine Ben Ali gestürzt worden war, von Koalitionen unter Anführung der islamistischen Ennahda-Partei beherrscht.
Saïed hat seit dem 25. Juli die Macht mit Dekreten zunehmend an sich gerissen. Die Opposition wirft ihm einen «Staatsstreich» vor. Um den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat der Präsident für den 25. Juli ein Referendum über die Verfassung und für den 17. Dezember vorgezogene Parlamentswahlen in Aussicht gestellt. Das Land hat auch mit grossen wirtschaftlichen Problemen und einer massiven Inflation zu kämpfen. Die Regierung bemüht sich um einen Kredit von umgerechnet gut 3,7 Milliarden Euro des Internationalen Währungsfonds (IWF).