Klimastreik Schweiz: Wohin bewegt sich die Stahlindustrie?
Klimastreik Schweiz äussert sich im Gastbeitrag zur Entwicklung der Schweizer Stahlindustrie und fordert eine Vergesellschaftung der Stahlwerke.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Schweizer Politik hat Unterstützungsmassnahmen für die Stahlindustrie beschlossen.
- Mitarbeiter der Stahlwerke Geralfingen und Emmenbrücke behalten ihre Jobs.
- Klimastreik Schweiz fordert eine Vergesellschaftung der Schweizer Stahlindustrie.
In der Stahlindustrie hat sich in den vergangenen Wochen einiges getan: Als bei Stahl Gerlafingen Mitte Oktober hunderten Mitarbeitern mit Kündigung gedroht wurde, formte sich in kürzester Zeit eine breite Solidaritätsbewegung.
Eine politische Kampagne von Gewerkschaften, Lokalpolitik und dem Klimastreik wurde lanciert. Gemeinsam mit den Arbeiter*innen kämpfte man nicht nur in Gerlafingen gegen die Kündigungen und für eine ökologische Stahlproduktion, sondern tat dies im Anschluss auch bei Steeltec in Emmenbrücke.
Nun wurden Unterstützungsmassnahmen für die Stahlindustrie verabschiedet und Stahl Gerlafingen nimmt die Kündigungen zurück. Die kämpferische und solidarische Bewegung verzeichnet also erste Erfolge.
Für uns vom Klimastreik ist jedoch klar: Der politische Kampf ist weder kurz- noch langfristig vorbei. Für den zukünftigen Kampf wollen wir einige Punkte und Erkenntnisse der bisherigen Kampagne hervorheben.
Es ist noch nicht vorbei
Die Bundesversammlung hat ein Angebot zur Unterstützung der Stahlindustrie erarbeitet. Die Arbeiter*innen und ihr Kampf haben diese Unterstützungmassnahmen erkämpft.
Die Unternehmensleitung von Steeltec ist jetzt in der Pflicht, die mit den staatlichen Hilfen verbundenen Anforderungen zu erfüllen. Die Arbeiter*innen nun dennoch zu entlassen, wäre eine Schande und eine absolut respektlose Unternehmensführung.
Für die Unterstützungsmassnahmen verantwortlich war zu grossen Teilen das Argument der Kreislaufwirtschaft – der CO2-armen Produktion.
Dieses Argument wurde in erster Linie vom Klimastreik in den Diskurs getragen und es ist differenziert zu betrachten: Die Werke in der Schweiz sind die CO2-ärmste Lösung zur Produktion von Stahl. Dies heisst aber noch lange nicht, dass sie klimaneutral sind und die Werke entsprechen somit auch nicht den Bedingungen, die wir brauchen, um die Klimakrise einzudämmen.
Die gesetzliche Grundlage für eine Dekarbonisierung der Stahlwerke ist mit den Beschlüssen des Parlaments gelegt. Sie muss nun kontrolliert erfolgen und zu Ende geführt werden.
Deshalb fordern wir eine Kontrollinstanz für den ökologischen Umbau mit Expert*innen, Mitgliedern der Umweltbewegungen und Vertreter*innen der Arbeiterschaft. Nur so kann sichergestellt werden, dass sich die Stahlwerke tatsächlich zur notwendigen klimaneutralen Stahlproduktion hinbewegen.
Es bleibt ein Fakt: Die Stahlproduktion ist zentral für den ökologischen Umbau der Schweiz, so beispielsweise für den Ausbau des ÖVs oder der erneuerbaren Energien.
Die Stahlwerke nehmen in diesem Sinne eine öffentliche Aufgabe wahr und sollten sich dementsprechend auch im öffentlichen Eigentum befinden. Daher unsere Forderung nach einer Vergesellschaftung der Stahlindustrie. So könnte auch der Angst der Rechten, dass durch die momentane Unterstützung der Werke reiche Stahlbarone unterstützt würden, begegnet werden.
«Hands-on» Klimapolitik
Klimapolitik, oder besser der Diskurs um die Klimapolitik, ist gespickt mit Symbolen. Einerseits wird die Katastrophe selbst stets symbolisch dargestellt – sei es durch den Eisbären oder den schmelzenden Gletscher. Doch auch die Massnahmen selbst werden durch Symbole verkörpert – ein Windrad hier, ein Fahrrad dort, eine vegane Bratwurst.
Doch Gerlafingen und Steeltec zeigen, dass diese Symbolik in der realen Klimapolitik nichts zu suchen hat. Stahl steht ganz bestimmt nicht symbolisch für einen Schritt in Richtung Klimaneutralität, ist real aber unverzichtbar.
Der Stahlkreislauf ist dabei ein reales System zum Anfassen und basiert hauptsächlich auf Infrastruktur: Schienen, Öfen, et cetera Involviert ist nicht nur das Stahlwerk, sondern die SBB Cargo genauso wie die möglichen Abnehmer*innen.
Doch der Kampf um die Stahlwerke ist nur der Anfang. Der ökologische Umbau der gesamten Industrie gehört angesichts der Klimakrise, welche eine Gefahr für Leib und Leben darstellt, jetzt und sofort vorangetrieben.
Die industriellen Kreisläufe sind neben Energie und Verkehr einer der wichtigsten Hebel zur Lösung der Klimakrise. Die unterschiedlichsten Verfahren in der Industrie gehören im Zuge eines ökosozialen Umbaus überdacht: Rohmaterial, Herstellung, Transport, Reparatur, Recycling – alle diese Dinge sind Teil einer Produktionskette und gehören einzeln und gemeinsam im Sinne der Klimaneutralität ganz praktisch verändert.
Für diesen Umbau braucht es Ressourcen, politischen Willen und Fachwissen. Bei den ersten beiden Punkten können Politik und Bewegungen nachhelfen.
Für den dritten Punkt braucht es zwei weitere Dinge: Erstens das Wissen von Wissenschaftler*innen und zweitens, das Fachwissen der Arbeiter*innen, die sich in ihrem Gebiet (und ihren Regionen) am besten mit der jeweiligen Produktion auskennen. Sie können am ehesten Lösungsvorschläge aus dem Theoretischen in die wirkliche «Hands-On»-Klimapolitik übersetzen.
Langfristige Perspektiven
Wir schliessen aus dem Beschriebenen: Eine langfristige Perspektive im politischen Kampf für das ökologische und gute Leben kann sich nur bieten, wenn wir Produktionszyklen direkt ins Visier nehmen. In Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen und Arbeiter*innen gehören sie neu gedacht und ins dekarbonisierte Zeitalter überführt.
Das gilt für die Stahlindustrie genauso wie für alle anderen Kreisläufe – ob es sie schon gibt oder auch noch nicht. Kreislaufwirtschaft ist ein parteiübergreifend beliebtes Rezept, wenn es um die Klimakrise geht, da sie oberflächlich gesehen weder Steuern noch Verbote erfordert.
Dass sich solche Kreisläufe einfach auf dem freien Markt bilden und halten, bleibt aber illusorisch. Wenn es keine Bereitschaft gibt, diese Strukturen bewusst zu schaffen und gleichzeitig die Produktionsmethoden umzustellen, bleibt jedes Lippenbekenntnis zur Kreislaufwirtschaft unglaubwürdig.
Die ersten Erfolge in der Stahlindustrie zeigen: Druck und Solidarität wirken – und Arbeiter*innen und Klimabewegung können gemeinsam etwas erreichen. Dies auch deshalb, weil im Endeffekt der Kampf gegen die Klimakrise keiner ist, der mit dem Kampf der Arbeiter*innen verbunden werden muss.
Denn der Kampf gegen die Klimakrise ist einer der Arbeiter*innen selber – und Aktionen wie in Gerlafingen oder Emmenbrücke lassen das klar werden.