«Erbe der Ausbeutung»: Was bleibt von Katar-WM?

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Die Katar-WM wurde von lautstarken gesellschaftspolitischen Debatten begleitet. Vor Ort war das Turnier perfekt organisiert – aber zu welchem Preis?

Der Emir von Katar (l) und FIFA-Präsident Gianni Infantino beim WM-Finale.
Der Emir von Katar (l) und FIFA-Präsident Gianni Infantino beim WM-Finale. - Martin Rickett/PA Wire/dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Emir von Katar lachte zufrieden, als er sich neben den FIFA-Boss Gianni Infantino auf die Tribüne setzte.

Links und rechts von Tamim bin Hamad Al Thani sangen und tanzten mehr als 88.000 Fans im Finalstadion Lusail.

Mehr als die Hälfte von ihnen trug ein Argentinien-Trikot. Das Endspiel fiel auch noch genau auf den Nationalfeiertag Katars. Die Boulevardstrasse zum Stadion war prächtig geschmückt.

Es war genau das, was dem Fussball-Weltverband und den WM-Organisatoren wichtig ist: Bilder. Und Geschichten wie der von Lionel Messi und seinem fünften Versuch, endlich Weltmeister zu werden. Sie sollen den Eindruck erwecken, dass dies eine normale WM wie alle anderen zuvor ist. Und diese Bilder haben es zumindest in der zweiten Turnierhälfte geschafft, dass die Kritik an den Verhältnissen in Katar immer mehr überlagert wurde.

Kritik von Menschenrechtsorganisationen

Auch deshalb erinnerten Menschenrechtsorganisationen am Finalwochenende noch einmal daran, dass dies eben keine normale WM war. Als Katar den Zuschlag dafür erhielt, mussten Stadien und Infrastruktur erst neu gebaut werden. Wie viele Gastarbeiter dabei starben, weiss niemand genau. Es ist die Ursünde dieses Turniers.

Ein «Erbe der Ausbeutung und Schande» befürchtet Rothna Begum von Human Rights Watch deshalb. Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, sagte: Die ausländischen Arbeiter seien die grossen Verlierer des Finales.

Vor allem seine Organisation hatte von der FIFA gefordert, mit einem Teil der WM-Einnahmen einen Entschädigungsfonds für Gastarbeiter zu finanzieren. Dass der Weltverband dies ablehnte, nannte Beeko «beschämend».

Die Einordnungen des Emirats und der FIFA klingen ganz anders. «Was wir tun könnten, um die Gesetzgebung zu ändern, um die Gesundheit und Situation der Arbeiter zu schützen, das haben wir getan», sagte Infantino. Es gehe darum, die WM und die dadurch gewonnene Aufmerksamkeit zu nutzen, «um das Leben von Menschen zum Positiven zu verändern». So soll die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) ein dauerhaftes Büro in Doha beziehen.

So wie Infantino sehen und vertreten das viele Menschen. Noch im November würdigte die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Eva Kaili, in einer Rede die vermeintlichen Fortschritte Katars. Die Fussball-Legende David Beckham sagte am Sonntag: «Das Zusammenkommen der Fans und das Niveau des Fussballs hier zu sehen – das war gewaltig!»

Vizepräsidentin des EU-Parlaments abgesetzt

Die Sache ist nur: Kaili wurde mittlerweile abgesetzt, weil sie unter dem Verdacht steht, von Katar korrumpiert worden zu sein. Und Beckham kassiert für seine Rolle als WM-Botschafter Katars einen dreistelligen Millionenbetrag. Und so bleibt von dieser WM auch der Eindruck, mit Geld alles kaufen zu können: neue Stadien, bezahlte Fans, lobende Stimmen.

Mehr als 200 Milliarden Dollar beträgt nach Medienberichten das Investitionsvolumen des Emirats für diese WM. 2006 in Deutschland waren es nach offiziellen Angaben «nur» 4,3 Milliarden.

Und was bleibt? Die Arbeitsgruppe der Europäischen Fussball-Union, die sich in der Debatte um die «One Love»-Kapitänsbinde mit der FIFA angelegt und verloren hatte, wird im kommenden Jahr eine Art Inspektionsreise unternehmen. Was hat sich in Katar wirklich verändert? In den vor Ort praktisch nicht mehr gebrauchten Prachtstadien werden aller Voraussicht nach in den kommenden Jahren einige Top-Nationen zu Testspielen vorbeischauen.

Keine laute Kritik aus Politik und Wirtschaft

Von Politik und Wirtschaft erwarten Fachleute wie der Golfstaaten-Experte Nicolas Fromm von der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg keine laute Kritik mehr. Deutschland und Katar haben sich erst während der WM auf einen langfristigen Liefervertrag über Flüssiggas geeinigt.

Auch deshalb ärgerte sich der frühere Nationaltorwart und heutige Vorstandschef des FC Bayern München, Oliver Kahn, darüber, dass von Fussballern in Katar Dinge erwartet wurden, die von Ministern und Wirtschaftsvertretern auch nur selten zu hören sind. «Die Politisierung, die im Fussball stattfindet, wird immer extremer und grösser. Damit überfordert man die Spieler und ich finde, man überfordert auch den Fussball langsam», sagte Kahn im Podcast bei OMR.com.

Der deutsche Rekordmeister ist selbst durch das Sponsoring der staatlichen Fluglinie eng mit dem Emirat verbunden. Eine Verlängerung des auslaufenden Vertrages ist noch nicht beschlossen, trotz massiver Fankritik aber weiterhin möglich. «Der Fussball kann ein Mosaikstein sein, wenn er ein Zeichen setzt, aber der Fussball kann nicht Aufgaben übernehmen und nicht die Rolle übernehmen, die eigentlich andere übernehmen müssten», sagte Kahn. Dafür sei die Politik verantwortlich.

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