«Karneval des Fussballs» wird für Southgate zum Endspiel

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Qatar,

Bei der Fussball-EM gewann England beinahe den Titel – seitdem geht fast alles schief. Eine erfolglose Nations-League-Saison hätte Southgate fast den Job gekostet. Der Druck in Katar ist gehörig.

Hofft auf eine starke WM seines Teams: Englands Nationaltrainer Gareth Southgate.
Hofft auf eine starke WM seines Teams: Englands Nationaltrainer Gareth Southgate. - Nick Potts/PA Wire/dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Die ganze Palette an Emotionen hat Gareth Southgate in 15 Monaten durch.

Im Sommer 2021 fehlten England nur noch ein paar Elfmeter zur ersehnten Erlösung nach 55 Jahren Titellosigkeit. Im Herbst 2022 drohte dem staatsmännischen Fussball-Nationaltrainer nach einem Seuchenjahr plötzlich die Ablösung, allem Charisma und Gentleman-Auftreten zum Trotz. Als möglicher Nachfolger wurde direkt Thomas Tuchel gehandelt. Das ist in etwa das Spannungsfeld, in dem sich Southgate befindet, wenn die Three Lions am Montag (14.00 Uhr/ZDF und MagentaTV) gegen Iran in die WM starten.

«Ich bin nicht überheblich genug, um zu glauben, dass mich mein Vertrag in irgendeiner Form schützen wird», sagte Southgate, der zwar bis Ende 2024 an den englischen Verband FA gebunden ist, in der Hitze von Katar aber massiv auf dem Prüfstand steht. Dabei ist die jüngste Turnierbilanz des 52-Jährigen exzellent. England war bei der WM 2018 Vierter und stand bei der EM im Vorjahr im Finale. Kein anderes europäisches Team hatte bei beiden Turnieren die Runde der letzten Vier erreicht. Nur der grosse Titel fehlt eben noch.

England-Profis schützen ihren Coach

Southgate, der schon für das EM-Finale und die Auswahl seiner Elfmeterschützen harsch kritisiert worden war, hat den Glauben an sich selbst nicht verloren. «Ich bin der Richtige», sagte der Ex-Profi im September, als die Nations-League-Spielzeit schon gehörig misslungen war. Am Ende stieg das Team um Kapitän Harry Kane ohne einen Sieg ab. Die Rettung für Southgate war offenbar, gegen Deutschland nach 0:2-Rückstand dank grosser Moral noch 3:3 gespielt zu haben.

Auch die Profis wissen um Southgates Rolle – und stützen ihn. «Er hat in den letzten Jahren gezeigt, was er diesem Team gibt», sagte Offensivgarant Raheem Sterling. Er sei ein Trainer, dem «alle Jungs vertrauen» und dem «wir alle in seine Richtung folgen wollen». Der Verband wird ihn letztendlich an den WM-Resultaten messen.

In der Vorrunde (gegen Iran, die USA und Wales) und im Achtelfinale sollte nichts schiefgehen, wenn Southgate das Team auch zur EM 2024 nach Deutschland führen soll. Geht es wie bei der WM in Russland und der EM (mit sechs Spielen im heimischen Wembley-Stadion) wieder ins Halbfinale, dürfte Southgate auch ohne Beendigung des Titelfluchs genug Argumente für eine Weiterbeschäftigung gesammelt haben. Dass ein renommierter Coach wie Tuchel auf dem Markt ist und Interesse haben könnte, macht es für Southgate aber nicht einfacher.

England mit starker Offensive

Das verfügbare Spielermaterial ist fantastisch. Neben Kane und Sterling können auch Phil Foden oder Mason Mount in der Offensive wirbeln. Neue Säule im zentralen Mittelfeld könnte Dortmunds Jude Bellingham werden. Trainer Mauricio Pochettino, der lange mit Kane arbeitete, sagte der «Süddeutschen Zeitung»: «In meinen Augen haben sie eine Generation, die jeden neidisch machen muss. Verglichen mit Frankreich, Brasilien, Deutschland haben sie eine viel höhere Anzahl an talentierten Spielern: Mount, Sterling, Foden, Sancho, Bellingham ... und Kane! Es ist jetzt ihr Moment.» Der Ex-Dortmunder Jadon Sancho ist ob der grossen Klasse im Team nicht einmal nominiert.

Auch als Moderator einer politischen Truppe wird Southgate wieder gefragt sein. Englands Profis knieten zuletzt regelmässig, um gegen Rassismus zu protestieren. In Katar wird Captain Kane die mehrfarbige One-Love-Kapitänsbinde tragen – doch dabei dürfte es nicht bleiben. «Ich unterstütze alles, was sie wollen. Ich habe einen Standpunkt, aber ich will sie nicht zu sehr beeinflussen. Es ist wichtig, dass sie eine Stimme haben», sagte Southgate. Die WM, die der Coach jüngst als «Karneval des Fussballs» bezeichnete, dürfte für ihn auf allen Ebenen zu einer Prüfung werden.

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