Tinder: Mit dieser Masche will dich dein Date erpressen
Auf Apps wie Tinder häufen sich Fälle von sexueller Erpressung. Das Vorgehen der Betrüger ist dreist – und die polizeiliche Aufklärungsrate gleich null.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Fälle sogenannter Sextortion haben sich in den letzten vier Jahren verdreifacht.
- Dabei fordern Betrüger ein Nacktbild, um damit Geld erpressen zu können.
- Solche Fälle werden nur ganz selten polizeilich aufgeklärt.
«Immer wollen sie meinen Penis, nie mein Herz», beschwert sich ein Mann auf der Social-Media-Plattform Reddit. Dazu postet er einen Screenshot seines Chats auf Tinder.
Darin fragt eine Frau: «Wahrheit oder Risiko?». Er wählt «Risiko», woraufhin sie antwortet: «Schick mir ein Bild von deinem Schw*nz»
Für viele ist die Sache klar: Hier geht es nicht um Sex – sondern um sogenannte «Sextortion». Bei dieser Betrugsmasche fordern Tatpersonen intime Bilder, mit denen sie die Opfer später erpressen. Oft verlangen sie hohe Geldsummen.
Zahlreiche andere Nutzer schildern ähnliche Erlebnisse. Einer berichtet, eine Geldforderung von 900 Dollar in Bitcoin erhalten zu haben.
Drängt sich die Frage auf: Nimmt die Masche zu?
Fälle auf Tinder und Co. haben sich verdreifacht
«Sextortion-Fälle auf Dating-Plattformen sind uns bekannt», bestätigt Fabian Ilg, Geschäftsleiter der Schweizerischen Kriminalprävention (SKP) auf Anfrage von Nau.ch.
Kriminologe Dirk Baier ergänzt: «Einerseits soll Geld erpresst werden, andererseits versuchen Täter, weiteres intimes Material zu erpressen.»
Statistiken bestätigen den Trend. Baier erklärt, dass 2023 rund 1700 Fälle von finanzieller Erpressung und 100 Fälle sexueller Erpressung erfasst wurden.
Zum Vergleich: 2020, als diese Fälle erstmals gezählt wurden, gab es «nur» 500 solcher Fälle. Die Zahlen haben sich also fast verdreifacht!
Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs: «Maximal jede fünfte Tat wird angezeigt. Die Dunkelziffer könnte fünfmal höher sein», warnt Baier.
«Die Angst vor Veröffentlichung, Blossstellung oder Scham dürften eine Rolle spielen», erklärt sich die Kantonspolizei Bern die Dunkelziffer.
Betroffene verzichten aus Scham auf Anzeige
85 Prozent der Betroffenen von Cybersexualdelikten sind gemäss Kriminalstatistik unter 20 Jahre alt. Laut Fabian Ilg von der SKP sind vor allem junge Erwachsene und Männer mittleren Alters als Hauptzielgruppe.
Baier betont jedoch, dass alle in einer verletzlichen Situation gefährdet seien – etwa Menschen auf der Suche nach Liebe. Und die sind oft auf Datingplattformen wie Tinder, Lovoo und Co. unterwegs.
Und es soll noch schlimmer kommen, warnt Ilg: «Wir erwarten, dass in diesem Bereich künftig auch Chatbots zum Einsatz kommen. Diese sind darauf trainiert, Handlungen herbeizuführen, welche die Opfer schnell bereuen.»
Nicht nur auf Tinder: «Betrug und Erpressung lauern überall»
Um sich vor solchen Betrugsmaschen zu schützen, sind Prävention und Wachsamkeit essenziell. Zunächst müsse man verhindern, dass Menschen zu Tatpersonen werden, betont Baier.
«Gleichzeitig müssen Menschen verstehen: Im Internet lauern Betrug und Erpressung überall.»
Ins selbe Horn bläst Fabian Ilg: «Man sollte sehr selektiv mit Freundschaftsanfragen von Fremden auf Social Media umgehen. Sich immer bewusst sein, dass das Gegenüber den Videochat aufzeichnen kann. Nie intime Bilder teilen, wenn man das Gegenüber nur aus dem Internet kennt.»
Kurz: Auf Seiten wie Tinder sollte man immer achtsam sein. Die Plattform selbst äussert sich auf Anfrage von Nau.ch nicht zu Fake-Profilen und Scammern.
Was Prävention noch wichtiger macht: Die Aufklärungsrate von Sextortion-Fällen, in denen Geld erpresst werden sollte, betrug 2023 gerade mal 4,2 Prozent.
Das soll man tun, wenn man erpresst wird
Und was tun, wenn man erpresst wird? «Nie zahlen, sofort den Kontakt abbrechen, die Person auf allen Kanälen sperren», so Ilg. Auf Erpressungsforderungen solle auf keinen Fall eingegangen werden, sagt die Kantonspolizei Bern.
Denn: «Trotz geleisteter Zahlungen geht die Erpressung häufig weiter.» Stattdessen sollte eine Anzeige erstattet werden. Und im Falle einer Veröffentlichung die Plattform über das Bild informieren, damit eine Löschung beantragt werden kann.
Ein Tipp zur Vorsorge: «Mit Google Alert kann man sich benachrichtigen lassen, wenn der eigene Name online auftaucht», sagt Baier.
Die psychische Belastung in einem solchen Fall werde oft unterschätzt. «Mit einer Vertrauensperson über das Vorgefallene sprechen, hilft.»
Übrigens: Es gibt auch Fälle, in denen Betrüger nur vortäuschen, Nacktbilder zu besitzen. Sie fälschen E-Mail-Adressen und lassen eine Droh-Mail so aussehen, als sei das Opfer gehackt worden.
Hier können Betroffene jedoch aufatmen: Alles nur ein Bluff!