USA-Experte: «Joe Biden wird bei der Einigung des Landes scheitern»
Joe Biden hat einen grossen Aufgaben-Berg vor sich. In seinem wichtigsten Anliegen, der Einigung des Landes, wird er scheitern, sagt Politologe Thomas Greven.
Das Wichtigste in Kürze
- Joe Biden muss das Wahlrecht in den USA verändern, sagt Thomas Greven.
- Im Nau.ch-Interview spricht der deutsche Politologe über die Lage in den USA.
- Er erklärt, welches die Knackpunkte während Bidens Präsidentschaft sein werden.
Ein 78 Jahre alter Mann soll die USA aus der wohl grössten Krise der Landesgeschichte führen. Gleichzeitig steht er von links wie rechts unter Beschuss. Wie kann der neue Präsident Joe Biden die Vereinigten Staaten wieder auf die Erfolgsspur führen?
Thomas Greven ist Privatdozent für Politik am John-F.-Kennedy-Institut in Berlin und Autor des Buches «Die Republikaner: Anatomie einer amerikanischen Partei».
Nau.ch: Herr Greven, am Schluss des ersten Teils des Interviews sprachen wir über die mögliche Spaltung der Republikanischen Partei. Die Demokraten haben mittlerweile einen ausgeprägten progressiven Flügel. Wenn sich die eine Seite spaltet, dann auch die andere?
Thomas Greven: Die linken Demokraten haben in den letzten Jahren geliefert. Nun wurden sie personalpolitisch für ihren grossen und erfolgreichen Aufwand während des Wahlkampfes nicht belohnt. Biden berief eher moderate Politiker in sein Kabinett.
Dafür gab es möglicherweise den Grund, dass es nahezu unmöglich gewesen wäre, progressive Kandidaten in die Regierung zu bringen. Wenn die Republikaner die Mehrheit im Senat hätten halten können.
Wenn es eine Abspaltung gibt, dann nicht, weil es bei den Republikanern passiert. Es würde aus eigenen Gründen passieren. Mittlerweile haben die progressiven Demokraten auch wieder Grund für mehr Hoffnung. Alles, was Biden macht, ist besser als Trump.
Druck von links nimmt zu
Nau.ch: Es war also rückblickend gesehen ein Fehler, nur moderate Politiker für die Regierung zu nominieren.
Thomas Greven: Das kann sein. Aus Bidens Sicht ist es einfacher, diese Personen stehen ihm politisch näher.
Nau.ch: Allerdings wird der Druck von links viel grösser sein.
Thomas Greven: Richtig, aber personalpolitisch ist auf Kabinettsebene der Zug bereits abgefahren. Es kann jetzt nur noch um Politikinhalte und untere Ebenen in den Ministerien gehen. Dort werden Progressive vielleicht eher zum Zug kommen.
Ohnehin sind Minister jederzeit austauschbar und müssen den Direktiven des Präsidenten folgen, der die Exekutive verkörpert. Sie haben weniger Eigenbefugnisse als zum Beispiel in Deutschland. Aus diesem Grund war es zum Beispiel für Bernie Sanders wenig attraktiv, Arbeitsminister zu werden.
Biden hat auch deshalb moderate Minister ernannt, weil die Demokratische Partei nicht immer geschlossen auftritt. Und Senatoren und Senatorinnen mit Blick auf ihren nächsten Wahlkampf vielleicht Kandidaten abgelehnt hätten, die als Sozialisten beschimpft werden.
Republikaner fahren Blockade-Politik wieder hoch
Nau.ch: Joe Biden verspricht, das Land wieder zu vereinen. Wie gelingt ihm das?
Greven: Biden wird das gar nicht gelingen. Dass das Land wieder näher zusammen kommt, hängt von Republikanischen Politikern ab. Sie müssen einen Schritt machen – und das werden sie nicht. Die, die jetzt Einigkeit ausrufen, sind Heuchler.
Sie haben wochenlang die Lüge des angeblichen Erdrutschsiegs von Donald Trump mitgetragen. Die Absetz-Bewegungen sind geprägt durch Opportunisten. Sie brauchen Donald Trump nun nicht mehr und sagen sich los von ihm. Der Wille zur Einigung ist aber bei den meisten nicht da, auch weil sie Trumps Basis weiter fürchten.
Ein weiterer Grund: Die US-Amerikaner leben in getrennten medialen Welten. Die Friedensbotschaften von Biden kommen gar nicht bei den richtigen Empfängern an. Oder nur auf eine gefilterte Art.
Nau.ch: Keine Einigung also, im Gegenteil: Die Republikaner führen die Blockade-Politik wieder ein.
Greven: Ja, das Verhalten der Republikaner im Senat ist sehr pragmatisch. Sind sie an der Regierung, ist die Grösse des Haushaltsdefizits egal. Sie machen Schulden ohne Ende vor allem für Steuersenkungen.
Sind sie in der Minderheit, wird es wieder ein grosses Thema. Und das wird auch in den nächsten Jahren zu beobachten sein.
«Joe Biden muss Wahlrecht angehen»
Nau.ch: Joe Biden hat viel Macht. Bekanntlich verlieren aber die Präsidenten meistens die Midterm-Wahlen. Wie kann er das verhindern?
Greven: Meistens sind es die Midterm-Wahlen in der zweiten Amtsperiode. Im Senat müssen 2022 vorwiegend Republikaner ihren Sitz verteidigen. Bei 50/50 ist die Demokratische Mehrheit aber dennoch gefährdet.
Da wird es auch wichtig sein, dass die Demokraten das Wahlrecht anpacken. Die Republikaner bemängeln die Integrität der Wahlen. Dabei sind sie die eigentlichen Übeltäter. Sie hindern viele zehntausend US-Amerikaner an der Teilnahme an Wahlen.
Seit die Anwendung des Voting Rights Act durch den Supreme Court ausgesetzt wurde, haben die Republikaner auf der Ebene vieler Einzelstaaten die Wahlrechte wieder stark eingeschränkt – zu Lasten vor allem von Minderheiten. Da muss seit Jahren etwas getan werden.
Nau.ch: Das Wahlrecht wird also einer der grossen Knackpunkte der Präsidentschaft.
Greven: Ich hoffe es. Es ist aber möglich, dass er diese Chance verpasst. Wie Barack Obama, der nicht die politischen Kräfteverhältnisse zum Beispiel durch eine Arbeitsrechtsreform zugunsten der Demokraten verschoben hat.
Sondern sein ganzes politisches Kapital für ein eigentlich Republikanisches Gesundheitsprogramm aufgebraucht hat. Nur, um sich dafür von diesen als Sozialist beschimpfen zu lassen.
«Biden hat falsche Vorstellungen»
Nau.ch: Als Sozialist kann Joe Biden ebenfalls bezeichnet werden, wenn er linke Anliegen aufnimmt. Gleichzeitig wächst der Druck von dem linken Flügel. Wie sehen die nächsten Jahre von Joe Biden aus?
Greven: Der Druck von links, progressive Politik zu machen, ist sicherlich gross. Allerdings muss Biden auch mit der gesellschaftlichen Polarisierung, die vor allem von rechts ausgeht, umgehen.
Zunächst stehen die Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen auf dem Programm. Joe Biden wird vorwiegend mit diesen Problemen beschäftigt sein.
In den ersten Tagen nach Amtsübernahme wird er mittels Executive Orders viele Massnahmen von Donald Trump rückgängig machen. Eine Schonfrist durch die Republikaner, einen «honeymoon» wird er nicht bekommen. Biden macht sich falsche Vorstellungen, was die Kompromissbereitschaft der Republikaner anbelangt.