Albanien: Die Geschichte des südosteuropäischen Staats
Albanien stand immer wieder unter Fremdeinfluss. Aus einem Autonomiewunsch innerhalb des Osmanischen Reichs wurde ein Streben nach staatlicher Unabhängigkeit.
Das Wichtigste in Kürze
- Ende des 14. Jahrhunderts drangen erstmals Osmanen in das Gebiet ein.
- 1865 teilte die osmanische Regierung das albanische Siedlungsgebiet in vier Vilâyets auf.
- Von 1914 bis 1915 herrschten vielerorts erneut bürgerkriegsähnliche Zustände.
Erste Spuren menschlicher Besiedlung auf dem heutigen Albanien sind auf die Zeit vor 100'000 Jahren zurückzuführen. In der Antike war die westliche Balkanhalbinsel von illyrischen Stämmen besiedelt. Sie gründeten zahlreiche Städte im Landesinneren.
Römisches und später Byzantinisches Reich
Königin Teuta (230 bis 228 v. Chr.) stützte sich auf eine eigene Flotte, deren Raubzüge den Handel der römischen Republik gefährdeten. Die Römer wollten diese Gefahr vermeiden und starteten deshalb mit einer Expansion nach Illyrien.
Nach dem Zerfall des Römischen Reiches gehörte das heutige Albanien zum Byzantinischen Reich. Erst im Jahr 1190 gelang es Progon, dem Archon von Kruja, seinen Bezirk von den Byzantinern unabhängig zu machen. Dies war das erste Mal, dass ein albanischer Adliger sein eigenes Fürstentum gründete.
Als Folge des Vierten Kreuzzuges brach die byzantinische Herrschaft in Albanien komplett zusammen und zerfiel in viele kleine Fürstentümer. 1343 bis 1347 konnte der serbische Zar Stefan Dušan das Gebiet seinem Reich angliedern. Doch schon nach seinem Tod 1355 gewannen die lokalen Fürsten ihre Unabhängigkeit zurück.
Einmarsch osmanischer Truppen
Ende des 14. Jahrhunderts drangen die osmanischen Truppen zum ersten Mal in die albanisch besiedelten Länder vor. Die osmanische Eroberung dieser Gebiete geschah etappenweise und war erst Jahrzehnte später abgeschlossen.
Lange Abwehrkämpfe und die vorübergehende Unterbrechung der Handelsbeziehungen nach Italien und Europa schadeten der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung.
Grosse Teile der Bevölkerung traten aus Überzeugung, Zwang oder gesellschaftlichen und ökonomischen Anreizen zum Islam über. Die Albaner waren neben den Bosniaken das einzige Balkanvolk, das mehrheitlich den Glauben der Osmanen angenommen hatte.
Krise und Neuordnung
An der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert befand sich das Osmanische Reich in einer tiefen Krise und verlor in vielen Provinzen die Kontrolle. 1865 teilte die osmanische Regierung das albanische Siedlungsgebiet auf vier Vilâyets auf: Ishkodra im Nordwesten, Kosova im Nordosten, Yanya im Süden und Manastır im Südosten.
Diese administrative Neuordnung verärgerte die nordalbanischen Stämme und es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Aufgrund der schlechten Wirtschafts- und Sicherheitslage emigrierten viele Albaner.
Erstmals albanisches Nationalbewusstsein
Erst in dieser Zeit entwickelte sich langsam ein albanisches Nationalbewusstsein. Für viele Albaner wurde die nationale Frage jedoch erstmals im Zusammenhang mit dem Russisch-Türkischen Krieg 1877–1878 bedeutsam. Das russische Friedensdiktat hätte Teile des Siedlungsgebietes unter die Herrschaft der Staaten Bulgarien und Montenegro gestellt.
Dagegen formierte sich erstmals albanischer Widerstand auf nationaler Basis. Es entstand eine Organisation, die Liga von Prizren, welche Truppenverbände zur Verteidigung fremder Mächte bildete. Darüber hinaus strebte die Liga die Bildung eines autonomen albanischen Verwaltungsbezirks innerhalb des Osmanischen Reiches an.
Forderung der Liga von Prizren
Im Juli 1878 forderte die Liga, dass das gesamte albanische Siedlungsgebiet als autonome Provinz unter türkischer Herrschaft bleiben solle. Diese Forderung wurde ignoriert. Es formte sich ein Widerstand, weshalb die Grenzen teilweise auch zugunsten der Albaner verändert wurden.
Nach der Zerschlagung der Liga von Prizren gab es für zwei Jahrzehnte keine politische Bewegung der Albaner mehr. Nationale Aktivisten engagierten sich in der folgenden Zeit vor allem auf kulturelle Weise.
Bewaffneter Aufstand und erster Balkankrieg bricht aus
An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert verschärfte sich die innere Krise des Osmanischen Reichs erneut. Die Regierung versuchte, Kontrolle zu erhalten, indem sie gewaltsam gegen die Nationalismen der Balkanvölker vorging.
1897 wurden die Führer der wiederauferstandenen Liga von Prizren verhaftet. Erstmals existierte die Forderung, einen albanischen Nationalstaat zu errichten. Die letzten Jahre der osmanischen Herrschaft über Albanien verliefen chaotisch und waren von Gewaltakten überschattet.
1910 brach im Kosovo ein bewaffneter Aufstand gegen die osmanische Herrschaft aus, der sich nach Nordalbanien ausdehnte. Als im Herbst 1912 der Erste Balkankrieg ausbrach, gerieten die Aufständischen in eine schwierige Lage. Serben, Montenegriner und Griechen planten, das albanische Siedlungsgebiet auf ihre bereits existierenden Staaten aufzuteilen.
In dieser Situation entschloss sich die Führung der albanischen Nationalbewegung, die Erklärung der Unabhängigkeit nicht länger hinauszuzögern. Am 28. November 1912 wurde die Gründung der Republik Albanien ausgerufen.
Im Dezember 1913 wurden die Grenzen im Protokoll von Florenz festgeschrieben. Zudem wurde beschlossen, dass Albanien ein Fürstentum sein sollte.
Erster Weltkrieg
Während des Krieges verschwand Albanien wieder von der politischen Landkarte. Obwohl das Land formell neutral war, besetzten verschiedene Kriegsmächte mit der Zeit das gesamte albanische Territorium. Von 1914 bis 1915 herrschten vielerorts bürgerkriegsähnliche Zustände.
Aufgrund der politischen Instabilität und einer fehlenden Regierung stand Albanien in den Expansionsplänen der kriegführenden Mächte zur Disposition. Italien, Serbien und Griechenland beanspruchten Teile des Landes für sich. Im Dezember 1920 wurde Albanien in den Völkerbund aufgenommen und erhielt bald seine internationale Anerkennung wieder.
Zweiter Weltkrieg
Nach einer chaotischen Zwischenkriegszeit bemühte sich der herrschende König erfolglos, Albanien wirtschaftlich von Italien zu lösen. Albanien wurde im April 1939 von italienischen Truppen besetzt und vermochte kaum Widerstand zu leisten.
Der König floh und Albanien geriet unter die Kontrolle von Italien. Nach der Kapitulation Italiens am im September 1943 besetzten Einheiten der deutschen Wehrmacht Albanien.
Wie in Jugoslawien gelang es der nationalen Befreiungsarmee, ihr Land ohne die Hilfe alliierter Truppen zu befreien. Mit dem Abzug der Wehrmacht aus Shkodra am 29. November 1944 war schliesslich ganz Albanien befreit. Bemerkenswert ist, dass Juden in Albanien kaum vom Holocaust betroffen waren.
Kommunismus und Transformationsprozess
1944 kam es zur Machtübernahme durch die Kommunisten unter Führung von Enver Hoxha. Nach sowjetischem und jugoslawischem Vorbild wurde eine kommunistische Einparteienherrschaft eingeführt, welche sich 1967 offiziell zu einem «atheistischen Staat» erklärte.
Kulturell bedeutete die kommunistische Herrschaft einen gewaltigen Modernisierungsschub, welcher die albanische Gesellschaft nachhaltig veränderte. Aussenpolitisch orientierte sich Albanien zunächst an Jugoslawien, dann an der Sowjetunion und später an China. In den folgenden Jahren isolierte sich das Land vermehrt.
Trotz Isolationismus erfuhr die albanische Bevölkerung über Rundfunk und Fernsehen aus den Nachbarländern von den politischen Veränderungen im Ostblock. Auch Albaner begannen, sich gegen die Diktatur aufzulehnen. Im Januar 1990 gab es erste Demonstrationen und in der Folge flohen zahlreiche Albaner in westliche Botschaften.
Die Kommunistische Partei unter Ramiz Alia gewann die Parlamentswahl im März 1991. Ein Generalstreik erzwang jedoch den Rücktritt der kommunistischen Regierung. Die katastrophale Wirtschafts- und Versorgungslage führte zu einer Massenflucht.
Albanien brauchte Hilfe
Die Unzufriedenheit mit der Politik, eine katastrophale wirtschaftliche Lage und der Zusammenbruch mehrerer Geldanlagefirmen führte 1997 zu einem Bürgerkrieg. Dieser konnte nur durch ausländische Militär- und Polizeipräsenz beendet werden. Die Europäische Union organisierte eine Aufbauhilfe, die Wirtschaft erholte sich und die Lebensverhältnisse wurden besser.
1998 wurde die neue Verfassung angenommen. Während des Kosovokrieges 1999 nahm das Land Zehntausende kosovarische Flüchtlinge auf.
Weiterhin gab es ökonomische Probleme, hohe Arbeitslosigkeit und ein instabiles politisches System. Die internationale Hilfe und Präsenz im Rahmen des Stabilitätspakts für Südosteuropa verbesserte die Lage.
Nach den Wahlen von 2005 gab es einen geordneten Machtwechsel zur Demokratischen Partei Berishas. 2009 trat Albanien der NATO bei und reichte den Antrag auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union ein. Im Juni 2014 wurde Albanien der EU-Beitrittskandidatenstatus vergeben und 2018 wurde dem Beginn von Verhandlungen zugestimmt. Im Juli 2022 eröffnete die EU Beitrittsgespräche mit Albanien und Nordmazedonien.