Carola Rackete, Sea Watch Kapitänin: Experte gibt Einschätzung

Benedikt Theiler
Benedikt Theiler

Italien,

Carola Rackete, Sea Watch Kapitänin,ist wieder frei. Trotzdem droht der Deutschen in Italien weiterhin eine Haftstrafe. Ein Experte schätzt den Fall ein.

Carola Rackete Sea Watch Kapitänin
Carola Rackete Sea Watch Kapitänin - dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Carola Rackete wurde gestern aus dem Hausarrest verlassen.
  • Trotz Freilassung gehen die Ermittlungen gegen die 31-Jährige weiter.
  • Seerechtsexperte Alexander Proelss schätzt für Nau den Fall ein.

Seit Dienstagabend ist Carola Rackete, Sea-Watch-Kapitänin, wieder auf freiem Fuss. Die Ermittlungen gegen die 31- Jährige gehen jedoch weiter. Ihr werden Beihilfe zur illegalen Einwanderung, Verletzung des Seerechts und Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen. Im schlimmsten Fall droht ihr gar eine Haftstrafe.

Alexander Proelss schätzt für Nau den Fall ein. Er ist Professor für internationales Seerecht und Völkerrecht an der Universität Hamburg.

Nau.ch: Carola Rackete wird die Verletzung der italienischen Hoheitsgewässer vorgeworfen. Ist dieser Vorwurf berechtigt?

Alexander Proelss: Grundsätzlich sind Küstenstaaten völkerrechtlich befugt, ihre Häfen für fremde Schiffe zu sperren. Auf der anderen Seite steht die Pflicht aller Staaten, Menschen in Seenot zu retten und an einen sicheren Ort bringen zu lassen. Mit Ausnahme von Operationen unter Mandat der europäischen Grenz- und Küstenwache «Frontex» gibt es allerdings keine korrespondierende Pflicht von Küstenstaaten, das Anlanden von aus Seenot geretteten Menschen in ihren Häfen zu dulden.

alexander proelss uni hamburg
Alexander Proelss ist Professor an der Universität Hamburg und am Lehrstuhl für internationales Seerecht und Umweltrecht, Völkerrecht und Öffentliches Recht tätig. - Universität Hamburg

Etwas anderes gilt nach dem gewohnheitsrechtlich anerkannten Nothafenrecht wiederum dann, wenn sich die Situation an Bord eines Schiffes so verschlechtert, dass Gefahr für Leib und Leben der Geretteten und/oder der Besatzung besteht. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass der Hafenstaat die Anlandung des Schiffes dulden muss.

Nau.ch: War das im Fall der «Sea-Watch 3» nicht der Fall?

Die verfügbaren Informationen legen zumindest nahe, dass eine solche Notlage bestand. Trifft diese Einschätzung zu, fehlte es an einem unbefugten Eindringen in den Hafen von Lampedusa und erst Recht in das italienische Küstenmeer.

Nau.ch: Rackete soll Widerstand gegen ein Kriegsschiff geleistet haben. Auch hier die Frage, ist dieser Vorwurf berechtigt?

Proelss: Die faktische Lage kann ich nicht zu beurteilen. Sollte es zu einer etwaigen Beschädigung eines fremden Schiffs oder ähnlichem gekommen sein, sind die Rechtsfolgen nach dem nationalen – hier also italienischen – Recht zu beurteilen. Das hat aber nichts mit der Seenotrettung oder der Einfahrt in den Hafen zu tun, ändert also nichts am Bestand des Nothafenrechts.

Nau.ch: Trotz Sperre hat Rackete den Hafen in Lampedusa angelaufen. Ist dies gemäss Seerecht auch eine Straftat?

Proelss: Von wenigen Ausnahmen abgesehen sagt das Seevölkerrecht nichts über Straftaten. Insbesondere dürfen die Pflicht zur Seenotrettung und das Nothafenrecht nicht dadurch ausgehöhlt werden, dass diejenigen Personen, die sich im Einklang mit den seevölkerrechtlichen Vorgaben verhalten, anschliessend für genau dieses Verhalten bestraft werden.

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Carola Rackete, deutsche Kapitänin der «Sea-Watch 3», winkt, als sie nach ihrer Ankunft im Hafen von Porto Empedocle in ein Polizeiauto steigt. - dpa

Etwas anderes würde allenfalls im Fall der Beteiligung an transnationalisierter organisierter Kriminalität – zum Beispiel Menschenhandel – gelten. Dafür ist aber nichts erkennbar. Die entsprechenden Vorwürfe dienen lediglich dazu, das Verhalten der Seenotrettungsorganisationen zu diskreditieren.

Nau.ch: Laut Sea-Watch handelte die Kapitänin nach dem Notstandsgesetz. Rackete beruft sich also auf die Pflicht zur Hilfeleistung. Sieht das Seerecht diese Pflicht der Hilfeleistung vor?

Proelss: Ja, die Pflicht zur Rettung von in Seenot geratenen Menschen ist seevölkerrechtlich allgemein anerkannt. Sie gilt übrigens auch unabhängig davon, aus welchem Grund die Menschen das Meer befahren haben und dann in Seenot geraten sind.

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