Corona-Impfung: Kein Anstieg von Todesfällen abzuleiten
Impfgegner versuchen, die gestiegene Übersterblichkeit mit der Covid-Impfung in Verbindung zu bringen. Dabei steckt hinter falschen Schlussfolgerungen aus Ärztedaten ein Methoden-Fallstrick.
Das Wichtigste in Kürze
- Das Coronavirus und seine Auswirkungen sind längst nicht abschliessend erforscht.
Das macht es einfach, Falschinformationen und Fehlinterpretationen zu verbreiten.
Nun sollen Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) angeblich zeigen, dass es vom ersten Quartal 2021 an deutlich mehr plötzliche Sterbefälle und solche mit unklarer Todesursache gegeben habe als in den Vorjahren. Die AfD-Bundestagsfraktion stellt bei ihrer Veröffentlichung der Daten eine Verbindung zum Start der Corona-Impfkampagne her. In sozialen Medien formulieren Impfgegner daraufhin schwere Anschuldigungen. Dabei geben die Daten nicht annähernd etwas in dieser Richtung her.
Behauptung: Daten der KBV zeigen einen Anstieg plötzlicher Sterbefälle und solcher mit unklarer Todesursache. Dieser hänge mit dem Start der Corona-Impfkampagne zusammen.
Bewertung: Falsch.
Fakten: Die KBV sammelt Daten darüber, wie oft niedergelassene Ärzte bestimmte Diagnosecodes abrechnen. Doch aus den nun herangezogenen Daten lässt sich kein Anstieg bestimmter Todesursachen ablesen.
Dass es auf den ersten Blick dennoch so wirkt, sei eine Folge der Datenauswertung, schreibt das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI), das die Daten der Kassenärzte erforscht. «Die Aufregung um möglicherweise gestiegene Todesfälle 2021 entbehrt jeder Grundlage», teilte der Vorstandsvorsitzende des ZI, Dominik von Stillfried, mit.
Der scheinbare Anstieg sei «eine logische Konsequenz der Datenauswahl und methodisch als Kohorten-Effekt bekannt», so von Stillfried. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Sichert habe Abrechnungsdaten der KBV für bestimmte Gruppen von Versicherten angefordert- und zwar nach folgendem Auswahlkriterium: Versicherte, die im Jahr 2021 einen Arzt besucht haben.
Diese Versicherten konnten in den Jahren davor gar nicht für Diagnosecodes zur Abrechnung eines Todesfalls sorgen. Aus einem ganz einfachen Grund: Sie lebten ja noch – und besuchten eben erst 2021 einen Arzt, der dies bei der Krankenkasse abrechnete.
Dass dennoch in den KBV-Daten Kodierungen für Todesfälle in den Jahren vor 2021 in einigen Fällen vorkommen, könne nur an einem «Fehler bei der Eingabe oder Übertragung» liegen, so ZI-Vorstand von Stillfried.
Um tatsächlich einen aussagekräftigen Vergleich ziehen zu können, müsste sich der Datensatz auf die Grundgesamtheit aller gesetzlich Versicherten beziehen. Einen solchen Vergleich hat das ZI nun selbst veröffentlicht: Er zeige für die Jahre 2012 bis 2022 «keine Auffälligkeiten für die einzelnen von der AfD hervorgehobenen Diagnoseschlüssel». Soll heissen: Ärztliche Abrechnungen wie etwa für einen plötzlichen Herztod seien über die Jahre nicht auffällig angestiegen.
Auch KBV-Vorstand Andreas Gassen weist Sicherts falsche Deutung der Ärzte-Daten zurück: Diskussionen und Debatten müssten sein, aber nicht, indem in Zahlen etwas hineininterpretiert werde, was sie nicht hergäben.
Derzeit beobachtet das Statistische Bundesamt tatsächlich wieder eine erhöhte Übersterblichkeit. Diese könne nicht mehr vorrangig mit Corona-Todesfällen erklärt werden. Zu weiteren Ursachen legt sich die Behörde aber nicht fest und verweist auf erst später vorliegende Ergebnisse der Todesursachenstatistik.
Keine Belege gibt es für die Behauptung, dass die derzeit wieder gestiegene Übersterblichkeit auf Impfungen zurückgehen könnte. Im Gegenteil: Die Impfung trägt dazu bei, Todesfälle zu verhindern. An der Einschätzung ihrer Sicherheit hat das zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) nichts geändert. Nach Erkenntnissen der Medizin ist das Risiko einer Nebenwirkung äusserst gering.
Daten der Kassenärzte waren bereits in der Vergangenheit dazu benutzt worden, eine vermeintlich unerkannte Gefährlichkeit der Corona-Impfung zu belegen. Auch dabei handelte es sich um Fehldeutungen – etwa weil übliche harmlose Impfreaktionen mit stärker beeinträchtigenden Nebenwirkungen vermischt wurden.