Holocaust-Überlebende machen jetzt auch noch Ukraine-Krieg durch
Der Ukraine-Krieg fordert auch unter den rund 10'000 Holocaust-Überlebenden im Land Opfer. Doch die meisten wollen nicht mehr vor Putins Bomben fliehen.
Das Wichtigste in Kürze
- In der Ukraine gibt es rund 10'000 Holocaust-Überlebende.
- Nach Hitler müssen die Senioren jetzt auch noch einen zweiten Krieg durchmachen.
- Viele von ihnen weigern sich, vor Putins Bomben aus der Ukraine zu fliehen.
Borys Romantschenko wurde 96 Jahre alt. Vier Konzentrations- und Arbeitslager hatte der Ukrainer im zweiten Weltkrieg überlebt, bevor am 18. März eine Rakete in seine Wohnung im siebten Stock in einem Wohnblock in Charkiw einschlug.
Kaum etwas zeigt den Widerspruch von Putins «Spezialoperation» zur «Entnazifizierung» der Ukraine stärker auf, als Kriegsopfer wie Romantschenko. Die Nachfolger der Roten Armee, die ihn 77 Jahre zuvor vor den Nazis retteten, nahmen ihm jetzt sein Leben.
Ukraine-Krieg: KZ-Überlebende wollen nicht fliehen
Ein paar Strassen weiter sitzt Romantschenkos Freund und Leidensgenosse Anton Rudnew. Auch der 97-Jährige überlebte damals drei Konzentrationslager des Hitler-Regimes. In Bergen-Belsen wurde er gemeinsam mit Romantschenko schliesslich von den Briten befreit.
Rudnew will trotz Ukraine-Krieg nicht mehr aus Charkiw weg, obwohl er von Familie und Hilfs-Organisationen dazu gedrängt wurde. Er könne die Wohnung nicht im Stich lassen, man höre von Plünderern, sagt er zum «Spiegel». Zudem liegen hier seine Verwandten begraben. Er bleibt.
«Gut, dass mein Leben bald vorbei ist»
Die beiden alten Freunde sind keine Ausnahme. In der Ukraine soll es rund 42'000 NS-Verfolgte geben, so Schätzungen. Davon sind 10'000 Holocaust-Überlebende. Doch kaum jemand wolle noch einmal fliehen, sagen die Stiftungen und Organisationen, welche sich um die KZ-Überlebenden kümmern.
Eine der grössten Organisationen, die Jewish Claims Conference, hat seit Beginn vom Ukraine-Krieg immerhin schon 80 Holocaust-Überlebende evakuiert. Insbesondere die Transporte zur Grenze sind jedoch schwierig zu organisieren: Die meisten brauchen einen Krankenwagen für sich allein und medizinische Betreuung.
Also harren viele lieber der Dinge, die da kommen. Anton Rudnew verdunkelt jeden Tag die Fenster seiner Wohnung, den Weg in den Luftschutzkeller seines Hauses schafft er nicht mehr. Dass er auf seine letzten Tage noch einen zweiten Krieg erlebt, ist tragisch. «Gut, dass mein Leben bald vorbei ist», sagt er, «ich habe nicht allzu viel Gutes gesehen.»