Im Zeichen des Brexit: Heute wählt Grossbritannien sein Parlament
Das Wichtigste in Kürze
- Bis zuletzt rührten die beiden Parteichefs Corbyn und Johnson die Werbetrommeln.
- Nun sind die Briten aufgerufen, ihre Stimme abzugeben.
- Das Resultat wird wegweisend für den Brexit.
Warum Wahlen am Donnerstag? Seit 1935 wird in Grossbritannien an einem Donnerstag gewählt. Der Grund weiss niemand so genau. Eine Theorie lautet wegen dem Zahltag am Freitag. Gewöhnlich bekamen die Arbeiter am Freitag ihren Lohn und sind danach lieber direkt ins Pub. Das hatte sich negativ auf die Wahlbeteiligung ausgewirkt. Bei Wahlen am Sonntag hätten sich zudem die Geistlichen einmischen können.
Der Fixed-term Parliament Act 2011 sieht heute vor, dass Parlamentswahlen am ersten Donnerstag im Mai im fünften Jahr nach der vorherigen Parlamentswahl stattfindet. Weil das Parlament aber aufgelöst wurde, findet die Wahl nun heute statt.
18:31 Uhr: Die Kandidaten im britischen Wahlkampf sind bei dieser Parlamentswahl in sozialen Medien deutlich häufiger beschimpft worden als bei der Abstimmung vor zwei Jahren. Eine Analyse von Twitternachrichten an einem Tag im November zeigte, dass 16,5 Prozent der Botschaften, die Kandidaten erwähnten, Beleidigungen oder Beschimpfungen enthielten, berichtete der Analysedienst PoliMonitor am Donnerstag. Premierminister Boris Johnson habe von allen Politikern die meisten Schmähkommentare erhalten.
Orakel von Dartford: Ein Hinweis, wie die Wahlen ausgehen könnten, liefert jeweils der Wahlbezirk Dartford. Seit 1964 haben die Einwohner immer mit der Gewinnerseite gestimmt. Heisst: Der Bezirk stellte jeweils einen Abgeordneten für die Regierungs-Partei und nicht für die Opposition. Übrigens Sir Mick Jagger und Keith Richards von den Rolling Stones stammen aus Dartfort.
16:26 Uhr: Glück heute Morgen vor dem Wahllokal in West Sussex. Ein Auto kracht um 10 Uhr morgens in die Wand des Lokals. Gemäss Polizei wurde niemand verletzt. Das Wahllokal konnte offen bleiben.
Wann sind die ersten Resultate zu erwarten? Während die Wahllokale offen sind, dürfen die Medien keine Meinungsumfragen veröffentlichen. Die ersten Resultate wird es darum erst nach Schliessung der Lokale um 23 Uhr geben. Spätestens am Freitag um 7 Uhr sollte das definitive Resultat über alle 650 Bezirke bekannt sein.
15:01 Uhr: Zwei verschiedene Schuhe und dann noch zwei linke: Bei der Labour-Kandidatin Diane Abbott musste es wohl pressieren. Das sorgt für reichlich Spot auf Twitter.
14:54 Uhr: Pech für die Wähler in Bermondsey im Südosten von London. Ein Wasserleitungsbruch vor dem Wahllokal verhinderte, dass sie mit Trockenen füssen abstimmen konnten. Ein Wähler erklärt dem «Independent»: «Ich hätte nach Hause gehen und Gummistiefel anziehen können, um durch die geflutete Strasse zu gelangen, aber ich musste arbeiten gehen.» Er werde darum am Abend wählen gehen.
Spezielle Wahllokale: Bis 23 Uhr sind die «Polling Stations» in Grossbritannien heute geöffnet. Dann werden die ersten Resultate erwartet. Damit die Briten nicht allzu weit reisen müssen, um ihre Stimme abzugeben, wurden in verschiedensten Räumen und Häusern Wahllokale eingerichtet. Ob Baracke oder Wasch-Center, die Briten lassen sich nicht beirren.
13:33 Uhr: Ein 48-jähriger Mann wurde verhaftet, nachdem ein verdächtiger Gegenstand in der Nähe eines Wahllokals in North Lanarkshire gefunden wurde. Gemäss Polizei wurde der Gegenstand um 1 Uhr früh am Donnerstag entdeckt. Die Wähler wurden gebeten, ein anderes Wahllokal aufzusuchen.
Obwohl der gegenstand offenbar «ungefährlich» war, wurden Spezialisten gerufen, um den Gegenstand zu untersuchen und eine kontrollierte Explosion durchzuführen.
Was passiert, wenn niemand gewinnt? Schafft keine Partei eine Mehrheit, bleibt der bisherige Premierminister Boris Johnson vorerst im Amt. Dann kann er versuchen eine Regierung zu bilden. Möglich ist etwa eine Koalitionsregierung mit einer anderen Partei, ein Vertrauens- und Unterstützungsabkommen mit einer anderen Partei oder eine Minderheitenregierung. Dann aber wird der EU-Ausstieg für Johnson sehr schwierig.
Sollte Johnson scheitern, kann der Chef der grössten Oppositionspartei sein Glück versuchen. Scheitert auch dieser, gibt es erneut Neuwahlen.
Strikte Berichtsbeschränkung: Von 8 Uhr bis 23 Uhr gilt in Grossbritannien eine strickte Berichtserstattungs-Beschränkung. Heisst: Die Kandidaten dürfen während dieser Zeit keinen Wahlkampf mehr führen.
Für Journalisten ist es verboten, über das Ergebnis der Wahl zu spekulieren oder Wähler in den Wahllokalen zu befragen. Für Zeitungen und Online-Nachrichtenseiten sind die Vorschriften jedoch weniger streng.
12:10 Uhr: Der Andrang bei den Parlamentswahlen in einigen Wahllokalen ist ungewöhnlich gross.
«Ich habe seit etwa acht Jahren in diesem Wahllokal gewählt, aber ich habe noch nie anstehen müssen», sagte etwa Craig Fordham in Putney. Chris Schofield stand in Bermondsey and Old Southwark in einer Schlange mit etwa 70 anderen Wählern, wie er sagte.
«Es ist 20 mal so viel los wie 2017 und bei lokalen und den Europawahlen», meinte der 27-Jährige. «Die Atmosphäre ist typisch London: Alle stehen in einer ordentlichen Reihe und niemand spricht mit dem anderen.» (SDA)
Nick the Incredible Flying Brick: Die Briten scheinen ob dem Ernst der Lage ihren britischen Humor aber nicht zu verlieren. Dies zeigen einige, teils lustige, Kandidaten, die heute zur Wahl stehen. So etwa Nick, der unglaubliche fliegende Backstein, der im Londoner Wahlkreis Islington North gegen Labour-Chef Corbyn antritt. Nick will – sollte er morgen tatsächlich gewählt sein – am Freitag den 13. die Schwerkraft abschaffen.
In Uxbridge und South Ruislip tritt Count Binface (Graf Mülleimergesicht) gegen Premierminister Boris Johnson an.
11:46 Uhr: Auch Klimaaktivistin Greta Thunberg meldet sich zu Wort. «Jede Wahl ist eine Klima-Wahl», schreibt die 16-Jährige auf Twitter. «Stimme für deine Kinder, stimme für den Planeten, stimme für die zukünftigen Generationen, stimme für Menschlichkeit.» Eine explizite Wahlempfehlung gibt sie jedoch nicht ab.
Brexit – Ja oder Nein: Wie heftig der Wahlkampf geführt wird, zeigt auch die Front der britischen Zeitung «The Sun». «Schütze den Brexit – schütze Grossbritannien» heisst es auf der Titelseite. Boris Johnson wird als helle, Corbyn als düstere Zukunft abgebildet.
Dazu schreibt das Blatt: «Wenn Boris heute gewinnt, beginnt morgen eine helle Zukunft ...aber wenn «Red Jez» gewinnt, wird das Licht für immer erlöschen.» Bereits gestern Titelte die Zeitung und zeigte die Vorzüge einer Johnson-Wahl. Eine gleiche Wahlempfehlung gibt aud die «Daily Mail».
Auf der anderen Seite kämpft der «Daily Mirror» für Labour und titelt: «Boris und seine 40 grössten Lügen.
10:42 Uhr: Auch Johnsons Herausforderer Jeremy Corbyn gibt in London seine Stimme ab.
10:13 Uhr: Anders als in England, wurde in Schottland beim Brexit-Referendum für den Verbleib in der EU gestimmt. Die heutige Wahl wird wohl auch darüber entscheiden, ob Schottland eine zweite Unabhängigkeits-Abstimmung führen wird.
09:56 Uhr: Die Wahl bewegt. Vielerorts haben sich lange Warteschlangen gebildet. Oder wie es Martin Archer auf Twitter schreibt: «Ich habe nie eine solche Schlange beim Wahllokal gesehen.»
Noch bis 23 Uhr haben die Briten Zeit, ihre Stimme abzugeben. Kurz danach werden die ersten «Exit Polls» erwartet. Am Freitag um 7 Uhr sollte dann das definitive Resultat über alle 650 Bezirke bekannt sein.
09:35 Uhr: Johnson – ebenfalls mit Hund – gibt seine Stimme ab.
09:30 Uhr: Viele Wähler nehmen den Anlass auch gleich, um Gassi zu gehen. Unter dem Hashtag #dogsatpollingstation teilen Hundehalter fleissig ihre Fotos.
Auch Londons Bürgermeister Sadiq Khan macht mit.
Auch Polit-Füchse tauchen heute Morgen auf.
08:00 Uhr: Seit 7 Uhr früh – 8 Uhr Schweizerzeit – sind in England, Wales, Schottland und Nordirland die «Polling Stations» offen. Wählen dürfen alle Briten ab 18 Jahren, die sich bis zum 26. November registriert haben.
Für das Anstehen in der Schlange empfiehlt sich den Regenschirm einzubacken. Das Wetter ist in allen Landesteilen regnerisch.
Die Ausgangslage zu den Wahlen
Corbyn oder Johnson – das ist heute in Grossbritannien die Frage. Die britischen Parlamentswahlen sind auch wegweisend für die Brexit-Frage.
Die Statistiken sprechen für den aktuellen Premierminister. Doch zuletzt schien der Vorsprung seiner Tories geschrumpft zu sein. Davon geht eine grossangelegte Umfrage von YouGov aus. Demnach ist laut Erhebung der Vorsprung der konservativen Tories von 68 Abgeordneten auf 28 Mandate geschrumpft.
Wahllokale öffnen um 8 Uhr
Die Wahllokale sind von 8 Uhr bis 23 Uhr Schweizerzeit geöffnet. Unmittelbar danach wird eine Prognose im Auftrag der Fernsehsender BBC, ITV und Sky News veröffentlicht.
Wichtig: Das britische Mehrheitswahlrecht kennt nur Direktmandate. Heisst, dass nur die Kandidaten mit den jeweils meisten Stimmen in einem der 650 Wahlkreise ins Parlament einziehen – egal, wie knapp ihr Sieg ausfällt.
Sollte Johnson eine klare Mehrheit erreichen, könnte er bald mit der Ratifizierung seines Brexit-Abkommens starten. «Get Brexit done» heisst das in den Worten von Johnson.
Noch vor Weihnachten will er über seinen Austrittsdeal abstimmen lassen. Bedeutet: am 31. Januar könnte Grossbritannien bereits aus der Europäischen Union austreten.
Wird Johnson tatsächlich zum Wahlsieger, ist es der erste grosse Erfolg als Premier. Der Austritt aus der EU wäre dann wohl sein zweiter.
Labour-Chef will zweites Referendum zum Brexit
Sollte die oppositionelle Labour gewinnen, will Parteichef Jeremy Corbyn innerhalb von drei Monaten einen neuen Brexit-Deal mit enger Anbindung an die EU aushandeln.
Sechs Monate danach soll dies dann dem Volk vorgelegt werden. Als Alternative bliebe der Verbleib in der EU.