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Jubiläum in unruhigen Zeiten: Europarat wird 75

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Frankreich,

Der einst so stolze Europarat ist zu seinem Jubiläum angeschlagen: Krisen, wo man hinsieht – und Mitglieder, die mit Austritt drohen. Doch abschreiben sollte man die grosse Schwester der EU noch nicht.

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Der Europarat hat seinen Hauptsitz in Strassburg. (Archivbild) - Rainer Jensen/dpa

Als «europäisches Gewissen» bezeichnete der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer den Europarat mal. Doch 75 Jahre nach Gründung scheint die Organisation in einem desolaten Zustand: Mehrere Mitglieder drohen mit Austritt, die Menschenrechte, über deren Einhaltung der Europarat wacht, sind weiter unter Druck – und noch dazu verwechseln viele die Organisation mit der EU. Wie viele Geburtstage erlebt der Europarat noch?

Im Schatten der jüngeren EU

Als erste grosse europäische Nachkriegsorganisation 1949 gegründet, setzt sich der Europarat für den Schutz von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat ein. Zu den 46 Mitgliedern gehören alle Länder der EU, aber auch Grossbritannien oder die Türkei. Er ist damit zuständig für 680 Millionen Europäerinnen und Europäer – von Grönland bis Aserbaidschan.

Doch seit die EU immer wichtiger wird, schwindet die Bedeutung des Europarats. Zu leicht lässt er sich verwechseln mit dem Europäischen Rat, der aus den 27 Staats- und Regierungschefs der EU besteht, zumal sowohl EU als auch Europarat die gleiche Fahne und die gleiche Hymne nutzen.

Viele Wackelkandidaten

Der Ukraine-Krieg hat auch für den Europarat eine Zeitenwende eingeläutet. Wegen seines Angriffskriegs wurde Russland aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Doch auch andere Mitgliedsländer gelten als Wackelkandidaten, bei denen nicht ganz klar ist, wie unverbrüchlich sie tatsächlich zum Europarat stehen. Serbien etwa droht mit dem Austritt, falls das Kosovo wie geplant Mitglied wird.

Aserbaidschans Delegation wurde Anfang des Jahres für ein Jahr aus der Parlamentarischen Versammlung des Europarats ausgeschlossen, weil das Land Wahlbeobachtern den Zutritt verweigert hatte. Die Türkei setzt seit Jahren wichtige Urteile des zum Europarat gehörenden Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) nicht um und sperrt etwa den Kulturförderer Osman Kavala weiter ein.

Auch für Grossbritannien sind die Urteile des Gerichtshofs ein Dorn im Auge, unter anderem weil die Richter 2022 in letzter Minute Grossbritannien daran gehindert hatten, Asylsuchende per Flieger nach Ruanda zu schicken. Premier Rishi Sunak kündigte bei der Verabschiedung eines Asylpakts mit Ruanda vor knapp zehn Tagen an, einstweilige Verfügungen des EGMR künftig zu ignorieren.

Austrittsdrohungen sollte der Europarat schlichtweg nicht beachten, findet der Leiter der Deutschen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Frank Schwabe: «Wenn Sie in der Fussball-Bundesliga eine Mannschaft haben, die statt mit dem Fuss mit der Hand spielt, und, wenn der Schiri dann pfeift, mit dem Austritt droht – dann ist es nicht schön.

Aber dann ist es ja deren Entscheidung. Niemand muss mit der Hand spielen.» Wenn man sich davon beeindrucken liesse und die Regeln wegen eines Einzelfalls für alle anderen schwächen würde, ginge die Substanz der Organisation verloren, mahnt der SPD-Politiker.

Begrenzte Möglichkeiten

Das schärfste Schwert des Europarats ist und bleibt der Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Er wacht über die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), die alle Mitglieder des Europarats unterzeichnet haben. Sie sichert wichtige Rechte zu, etwa das Recht auf Leben, das Verbot der Folter oder die Meinungsfreiheit.

Wer sich in seinen Rechten verletzt fühlt, kann vor dem EGMR klagen – die Richtersprüche sind bindend für die verurteilten Länder. Das Gericht ist allerdings chronisch überlastet mit über 50'000 neuen Beschwerden pro Jahr.

Abgesehen davon sind die Möglichkeiten begrenzt. Oft wird die Organisation deswegen als Papiertiger verspottet. Schwabe sieht das anders: «Die EU hat ökonomische Möglichkeiten, ja klar, die hat der Europarat nicht. Aber der Europarat hat verbriefte Rechte.» Dazu zählten etwa das Recht, Wahlbeobachtungsmissionen zu schicken oder unangemeldet in Gefängnisse zu gehen.

Europarat als Impulsgeber

Die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Julia Duchrow, sagt, dass es ohne den institutionellen Rahmen des Europarats viele positive Entwicklungen in Europa nicht gegeben hätte – «zum Beispiel das liberalisierte Recht zu Schwangerschaftsabbrüchen in Irland, Gefängnisreformen in Russland und der Türkei und die Stärkung des Rechts auf Familie, auch für Geflüchtete.»

Auch der Kommunikationsdirektor des Europarats, Daniel Höltgen betont: «In der Ukraine, Moldau und anderen EU-Kandidaten führt der Einfluss des Europarats zum Beispiel durch die Empfehlungen der Venedig-Kommission und der Expertengruppe gegen Korruption Greco unbestritten zu wichtigen rechtsstaatlichen Reformen.»

Zudem bleibe die Istanbul-Konvention, die Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung einstuft, der «wichtigste internationale Vertrag im Kampf gegen häusliche Gewalt mit einem konkreten Monitoring der teilnehmenden Staaten».

Zudem gilt das im vergangenen Jahr beschlossene Schadensregister als erster Schritt auf dem Weg zu möglichen Entschädigungszahlungen an die kriegsgeplagte Ukraine. Damit sollen die Zerstörungen in der Ukraine dokumentiert werden, um Russland dafür zur Rechenschaft ziehen zu können.

Mit ein bisschen Zuversicht in die Zukunft

«Der Europarat ist angesichts wachsender nationalistischer, rassistischer und antifeministischer Tendenzen heute wichtiger denn je», sagt Duchrow von Amnesty. Nötig sei aber mehr politischer Wille der europäischen Staaten, insbesondere in ihren bilateralen Beziehungen. Ausserdem sollte der Europarat aus Sicht von Amnesty weniger neue Institutionen schaffen, sondern stattdessen das bestehende System verbessern und effizienter machen.

Schwabe bleibt trotz allem zuversichtlich: «Es stimmt: Wir haben immer mehr Länder, die sich von den Werten weg bewegen. Wir werden das mit dem Europarat auch grundsätzlich nicht aufhalten können. Aber wir können stehen, so lange es geht. Die Lage wird sich auch wieder ändern.»

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