Kommt die Grippe in diesem Winter zurück?
Die letzten zwei Winter beschäftigte uns vor allem die Corona-Pandemie. Doch nun könnte die Grippe wieder zurückkehren.
Das Wichtigste in Kürze
- Grippewellen sind während der Corona-Pandemie grösstenteils ausgeblieben.
- Eine Expertin rechnet in diesem Winter wieder mit erhöhten Influenza-Fallzahlen.
- Bei den vulnerablen Gruppen könne eine hohe Impfquote allfällige Wellen abflachen.
Eigentlich kehrt jeden Winter die Grippesaison zurück, so jedoch nicht in den letzten Jahren. Die typischen Grippewellen wie vor der Corona-Pandemie blieben aus. Dies könnte für die kommenden kalten Tage starke Auswirkungen haben.
In den letzten Tagen sind die Temperaturen deutlich gesunken, der Herbst ist angekommen. Und mit dem Beginn dieser Jahreszeit kommt eine neue Grippesaison auf der Nordhalbkugel auf uns zu. Die Grippe wird durch Influenza-Viren ausgelöst.
Sie sind nicht zu verwechseln mit Erregern meist harmloser grippaler Infekte. Für die Schutzimpfung sind laut Paul-Ehrlich-Institut bisher rund 24,1 Millionen Dosen freigegeben. Mehr als in den vergangenen drei Jahren um diese Zeit. Geben lassen kann man sich die Spritze in diesem Herbst auch in Apotheken.
In den vergangenen beiden Saisons hatten die Pandemie und die dagegen getroffenen Massnahmen den üblichen Verlauf ordentlich durcheinandergewirbelt: 2020/21 blieb die Grippe weltweit grösstenteils aus.
Und auch 2021/22 kam es in Deutschland nicht zu einer Welle im gewohnten Massstab: Die Zahlen gingen erst nach den Osterferien und damit sehr spät etwas in die Höhe. Damit blieben auch die Doppel-Wellen von Sars-CoV-2 und Influenza aus, die teils befürchtet worden waren.
Zu Beginn der neuen Saison kann man sich also fragen: Was droht in den kommenden Wochen und Monaten, nachdem viele Menschen längere Zeit keinen Kontakt mehr zu Influenzaviren hatten? Möglicherweise wird die körpereigene Abwehr nicht optimal reagieren können. Werden sich nach den zahlreichen Corona-Impfaufrufen und den zähen Debatten rund ums Impfen noch genug Menschen zur Grippeschutzimpfung aufraffen?
Hohe Impfrate bedeutet geringer Krankheitsausbruch
«Wie gut Deutschland durch die Influenzasaison 2022/2023 kommen wird, hängt primär von den Impfquoten ab. Und diese sind in den Risikogruppen leider weiterhin zu niedrig». Dies teilte Sabine Wicker, Leiterin des Betriebsärztlichen Dienstes am Universitätsklinikum Frankfurt, mit.
Sie ist Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko) und der Stiko-Arbeitsgruppe Influenza. Besonders niedrig sei die Quote bei Schwangeren, mit 23 Prozent in der Saison 2020/21.
Wicker betonte, sie halte die Influenzaimpfung trotz der Nicht-Vorhersagbarkeit der Schwere der Welle in diesem Jahr für besonders wichtig. Die Impfung reduziere das Risiko von schweren Verläufen, Komplikationen und Hospitalisierungen. Gerade in der Pandemie gelte es, zusätzliche Belastungen des Gesundheitssystems zu vermeiden.
Dass es doch noch zu einer Doppel-Welle kommt, hält die Professorin nach dem Wegfall zahlreicher Corona-Massnahmen für möglich. Masken würden kaum noch oder oft nicht richtig getragen.
Vorhersage bei Grippe schwierig
Das für öffentliche Gesundheit zuständige Robert Koch-Institut (RKI) betont wie in jedem Jahr: Der Verlauf von Grippewellen lasse sich nicht vorhersagen. Ausserdem könnten Verläufe regional unterschiedlich ausfallen. Zuletzt wurde im australischen Winter eine relativ frühe und relativ heftige Grippewelle in vielen Landesteilen verzeichnet. Doch das müsse nicht zwangsläufig ein schlechtes Vorzeichen sein.
Generell schwankt laut RKI auch die Schwere von Saison zu Saison stark. Die Gründe hierfür sind komplex und hängen auch von den unterschiedlichen zirkulierenden Subtypen des Virus ab. Zu Folgen der vergangenen zwei Saisons hält das RKI aber fest, es sei denkbar dass die Bevölkerung anfälliger sei. Sie schliesse nicht aus, dass die Bevölkerung in «erhöhtem Masse oder ein «erhöhter Anteil der Bevölkerung» suszeptibel sei.
Vulnerable Personen sollten sich impfen lassen
Die Grippeschutzimpfung gilt dem RKI als wichtigster Schritt zum Schutz vor einer Erkrankung. Gleichzeitig schätzt das RKI die Wirksamkeit der Impfung als «nicht optimal» ein.
Es mache aufgrund der schieren Masse der Ansteckungen einen grossen Unterschied, wenn auch nur ein Teil der Geimpften geschützt ist: Das RKI verweist auf Schätzungen, wonach hierzulande pro Jahr circa 400'000 Influenza-Erkrankungen bei Menschen über 60 verhindert werden. 2017/2018 grassierte laut RKI die heftigste Grippewelle seit Jahrzehnten in Deutschland. Schätzungen zufolge starben dabei etwa 25'000 Menschen.
In Deutschland rät die Stiko unter anderem Menschen ab 60 oder schwangeren Frauen zu Impfung. Auch chronisch Kranke, Bewohner von Alten- und Pflegeheimen sollen sich die Impfung geben lassen. Gleiches gelte für Menschen mit erhöhtem beruflichem Risiko, etwa in der Pflege.
Für ältere Menschen wird inzwischen ein spezieller Hochdosis-Impfstoff empfohlen. Als optimal für den rechtzeitigen Aufbau eines Schutzes gilt eine Impfung im Zeitraum Oktober bis Mitte Dezember. Meist hatten frühere Wellen nach dem Jahreswechsel ihren Höhepunkt erreicht.
Influenza iund Erkältung unterscheiden sich
Obwohl es wie stets vor Grippewellen einige Unbekannte gebe, sehe er keinen Grund zur Panik. Das sagte der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl. «Die Corona-Massnahmen in Deutschland sind ja noch nicht komplett weggefallen: So wird immer noch ein Stück weit auch die Grippeverbreitung gehemmt.»
Tatsächlich könne es bei Menschen, die länger keine echte Grippe hatten, nun wieder soweit sein. Erwachsene machten dies in der Regel aber ohnehin nur alle paar Jahre durch. «Das, was umgangssprachlich als Grippe bezeichnet wird, ist ja grösstenteils nur eine Erkältung. Bei Influenza kann man schon mal eine Woche flachliegen», sagte Watzl.
Anzunehmen ist laut dem Immunologen, dass nach den grippearmen vergangenen zwei Wintern mehr kleinere Kinder als üblich ohne Immunschutz sind. Denn sie verpassten ihre ersten Infektionen mit der Grippe. Bei der Gruppe verlaufe die Krankheit in der Regel aber auch nicht schwer, sagte Watzl.
Eine Doppel-Welle aus Corona und Grippe könnte aus Watzls Sicht auf Ebene der Gesellschaft ein Problem werden. Für den Einzelnen jedoch sei es unwahrscheinlich, zeitgleich beide Erkrankungen zu erwischen.
Was dahintersteckt: Ist eine Zelle bereits mit einem Virus infiziert, sendet sie Botenstoffe aus. Diese würden andere Zellen wiederum in eine Art Lockdown-Modus versetzen. «Für ein neues Virus ist es dadurch schwerer, eine Infektion obendrauf zu setzen.»