In Deutschland werden mehr Minderjährige vermisst
4763 Kinder und Jugendliche galten Anfang Dezember als verschwunden - 330 mehr als im Vorjahr. Viele Fälle lassen sich schnell klären. Von drei Prozent aller Vermissten fehlt länger als ein Jahr jede Spur.
Das Wichtigste in Kürze
- In Deutschland werden kurz vor Jahresende mehr Minderjährige vermisst als noch vor einem Jahr.
Und obgleich die Identifizierung sehr junger Flüchtlinge nach einer Gesetzesänderung im Frühjahr jetzt einfacher ist, stieg auch die Zahl der vermissten minderjährigen Flüchtlinge.
Nach Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA) galten am 1. Dezember bundesweit 4763 Minderjährige als vermisst: 1604 Kinder und 3159 Jugendliche. Im Jahr 2020 waren zum gleichen Stichtag 4433 Minderjährige verschwunden. Ob Probleme, die mit den veränderten Lebensumständen im zweiten Jahr der Corona-Pandemie zusammenhängen, diesen leichten Anstieg zumindest teilweise erklären? Untersucht worden ist dies noch nicht.
Zu den vermissten Minderjährigen zählen solche, die sich regelmässig entfernen - meist aus Jugendeinrichtungen - und dann nach kurzer Zeit wieder auftauchen. Ausserdem zählen in diese Kategorie Minderjährige, die einem Elternteil zu Unrecht entzogen wurden.
Hohe Aufklärungsquote
Die Aufklärungsquote ist bei Fällen, in denen Kinder vermisst werden, mit über 90 Prozent generell hoch. Bei minderjährigen Flüchtlingen ist diese Quote niedriger. Das liegt teilweise daran, dass manche Jugendliche aus dieser Gruppe - ohne dies den deutschen Behörden anzuzeigen - das Land verlassen, etwa um bei Verwandten in einem anderen EU-Staat zu leben.
Gemäss den Erfahrungen der Polizei lässt sich etwa die Hälfte aller Vermisstenfälle innerhalb der ersten Woche klären. Der Anteil der Minderjährigen und Erwachsenen, die länger als ein Jahr vermisst bleiben, liegt laut Polizeistatistik bei drei Prozent.
Zum Monatsanfang waren es laut BKA 1736 junge Flüchtlinge, nach denen gesucht wurde. Die Zahl der vermissten minderjährigen Flüchtlinge war in den Jahren zuvor kontinuierlich zurückgegangen. So galten im Dezember 2018 noch 3380 junge Flüchtlinge als vermisst. Allerdings ging ein Teil der damals noch relativ hohen Zahl von Vermisstenfällen hier auf Mehrfachnennungen sowie unterschiedliche Namensschreibweisen zurück. Zwei Jahre später waren noch rund 1600 geflüchtete Minderjährige verschwunden. Der Rückgang hing auch damit zusammen, dass insgesamt weniger Schutzsuchende nach Deutschland kamen.
Nun hat sich dieser Trend umgekehrt - und zwar obwohl seit April 2021 auch bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die älter als sechs Jahre sind, eine vollständige erkennungsdienstliche Behandlung möglich ist. Das heisst, auch von Kindern im Grundschulalter können zu Identifizierungszwecken jetzt Fingerabdrücke genommen werden. Zuvor war dies lediglich ab einem Alter von 14 Jahren erlaubt.
Doppelungen nicht ausgeschlossen
Eine BKA-Sprecherin weist allerdings darauf hin, dass «noch existierende Doppelbestände» zu vermissten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen aufgrund unterschiedlicher Schreibweisen oder der Angabe unterschiedlicher Personalien bei den Behörden immer noch nicht gänzlich ausgeschlossen werden könnten. «Dies gilt insbesondere für noch offene Vermisstenfälle, die zu Beginn der Flüchtlingswelle eingetreten und bis jetzt nicht erledigt sind.»
Menschen gelten als vermisst, wenn sie ihren gewohnten Lebenskreis verlassen haben, ihr Aufenthalt unbekannt ist und für sie eine Gefahr für Leib oder Leben angenommen werden kann. Das bedeutet, sie können Opfer einer Straftat geworden sein oder es liegen ein Unglücksfall, Hilflosigkeit oder eine Selbsttötungsabsicht vor. Sind Minderjährige plötzlich verschwunden, gehen die Ermittler zunächst grundsätzlich von einer Gefahr für Leib oder Leben aus.