Neues Gesetz schürt Sorgen von Tierärzten
Fachtierärzte verschicken häufig Arzneimittel - gerade für exotischere Arten. Doch damit soll bald Schluss sein. Über ein neues Gesetz und seine möglichen Folgen.
Das Wichtigste in Kürze
- Es klingt dramatisch: Millionen von Zierfischen könnten sterben, weil sie bei Parasitenbefall nicht mehr richtig behandelt werden können.
Das widerspreche jedem Tierschutzgedanken, schrieben die Fischtierärztin Sandra Lechleiter aus Baden und Kollegen vor einigen Tagen an die Bundesregierung. Hintergrund ist eine geplante Gesetzesreform, die den Versand verschreibungspflichtiger Tierarzneimittel verhindern soll.
Gerade auf den sind die Fachtierärzte - vor allem aber auch die Tiere selbst und ihre Halter - angewiesen. Nach Einschätzung von Prof. Michael Pees von der Uni Leipzig, Leiter der Fachgruppe Zier-, Zoo- und Wildvögel, Reptilien, Amphibien und Fische der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft, betrifft das Problem all jene eher exotischen Spezies. «Dabei muss man sich vor Augen führen, dass von jeder dieser Gruppen mehrere Millionen Tiere in deutschen Haushalten gehalten werden.»
Experten unter Veterinärmedizinern selten
Nach Zahlen des Industrieverbands Heimtierbedarf lebte im vergangenen Jahr in fast der Hälfte aller Haushalte in Deutschland mindestens ein Heimtier. Die Lieblinge sind Katzen und Hunde. Doch der Verband kommt auch auf 3,5 Millionen Ziervögel wie Sittiche, Kanarienvögel und Kleinpapageien, 1,8 Millionen Aquarien, 1,4 Millionen Gartenteiche mit Zierfischen wie Kois und 1,3 Millionen Terrarien.
Und naturgemäss verteilen die sich von Nord nach Süd, von West nach Ost flächendeckend über das Land, wohingegen gerade die Experten unter den Veterinärmedizinern selbst eine seltene Spezies sind, wie Lechleiter erklärt. Neben ihrer Praxis in Neuenbürg bei Pforzheim gab es laut Bundesärztekammer zuletzt nur gut zwei Dutzend aktive Fischtierärzte - und nicht alle davon sind für Zierfische zuständig.
Das führt zu weiten Wegen: Das Einzugsgebiet der Vogelklinik, an der Pees arbeitet, betrage etwa 500 Kilometer. «Das besondere Problem wird dann noch verschärft, wenn es sich eben um Tiere handelt, die man nur sehr schlecht oder nicht tierschutzgerecht zu uns transportieren kann, so dass der Tierarzt eben zu den Kunden fahren muss.» Als Beispiele nennt er Zierfische, Strausse und Zootiere.
«Unsinniger Zeit- und Finanzaufwand»
In der Praxis heisst das dann oft: Tierärzte fahren zu den Patienten, nehmen Proben, lassen diese im Labor untersuchen - und schicken dem Halter passende Medikamente. Das trage auch zur Minimierung des Antibiotikaeinsatzes bei, heisst es in dem Brief, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Mitunterzeichner Pees macht deutlich: Der Wegfall dieser Möglichkeit würde für viele Kunden bedeuten, dass sie 300 Kilometer zur Klinik zurücklegen müssten, um ein Medikament im Wert von wenigen Euro zu bekommen - «was ein unsinniger Zeit- und Finanzaufwand ist und sicher auch die Umwelt massiv belastet».
Andere Optionen gibt es nach seinen Angaben nicht: Tierärzte vor Ort hätten nicht die Medikamente und dürften sie ohne Untersuchung auch nicht abgeben. Und Apotheken seien nicht bereit oder in der Lage, auf Rezept entsprechende Medikamente abzupacken und abzugeben.
Das Bundeslandwirtschaftsministerium erklärt, mit dem am 24. März vom Kabinett beschlossenen Entwurf würden EU-Vorschriften umgesetzt. «Wir garantieren höchste Qualitätsstandards und Sicherheit für Tierarzneimittel. Damit stärken wir die Tiergesundheit und den Tierschutz», kommentierte Ministerin Julia Klöckner (CDU).
Gemäss der EU-Verordnung soll ab 28. Januar 2022 der Versandhandel für verschreibungspflichtige Tierarzneimittel untersagt werden. «Grund hierfür ist die Problematik des verbreiteten illegalen Verkaufs von Tierarzneimitteln im Internethandel, der eine Bedrohung für die Gesundheit von Mensch und Tier darstellt», erläutert eine Sprecherin.
Deutschland habe sich gegen eine nationale Sonderregel - was die EU-Verordnung ermöglichen würde - entschieden, weil diese mit hohem bürokratischen Aufwand verbunden wäre. Sofern im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens aber ein geeigneter Ansatzpunkt erkennbar werden sollte, wie die Anforderungen des EU-Rechts in Bezug auf sichere Strukturen umgesetzt werden können, werde das Ministerium die Möglichkeit einer Sonderregelung erneut prüfen, so die Sprecherin.
Pees sagt: «Zu einem missbräuchlichen Versand von Medikamenten durch Tierärzte an Exoten-/Fischhalter ist mir aus den letzten 20 Jahren überhaupt nichts bekannt.» Zumal falscher Einsatz auch bei direkter Abgabe möglich wäre. Allerdings liessen die Tierärzte nicht wahllos Medikamente da, sondern diagnostizierten erst die genaue Erkrankung.
Die Politik schaue auf die «grossen» Tiergruppen - Hund, Katze, Rind, Schwein und Pferd -, aber nicht auf die zahlenmässig sogar grösseren, im Umsatz jedoch geringerwertigen anderen Tiergruppen, kritisiert Pees. Sein Vorschlag: «Der Gesetzgeber sollte eine Unterscheidung machen zwischen einem Versandhandel, der Medikamente verschickt, ohne ein Tier untersucht zu haben, und dem gezielten Zusenden eines Medikaments nach erfolgter Diagnostik durch den Tierarzt.»
Doch der Versand ist nicht der einzige Knackpunkt bei der Reform. Die Arbeitsgemeinschaft für Amphibien- und Reptilienkrankheiten etwa fürchtet mit der Gesetzesänderung unter anderem, dass die Veterinäre nicht mehr Arzneimittel verdünnen dürften. Damit wäre «die Versorgung unserer kleinsten Patienten von wenigen Gramm Körpermasse gefährdet». Auch könnte ein Verbot für bestimmte Antibiotika die Behandlung von gerade bei Reptilien auftretenden Bakterien erschweren.