Netflix: Fans «stalken» echte Stalkerin – Experte warnt

Rowena Goebel
Rowena Goebel

Winterthur Stadt,

In der Serie «Rentierbaby» von Netflix geht es um eine echte Stalkerin. Jetzt versuchen Fans, alles über sie herauszufinden. Das sorgt für Kritik.

Netflix
Martha gibt es wirklich: Fans haben die echte Stalkerin ausfindig gemacht und posten nun unermüdlich auf Social Media über sie. - Facebook

Das Wichtigste in Kürze

  • Eine neue Netflix-Serie handelt von einer weiblichen Stalkerin.
  • «Rentierbaby» basiert auf einer wahren Geschichte.
  • Fans haben nun die echte Stalkerin gefunden – und hetzen im Netz gegen sie.

«Baby Reindeer» (Deutsch: Rentierbaby) ist in der Schweiz aktuell eine der meistgesehenen Serien auf Netflix. Die Geschichte: Ein junger Mann wird von einer älteren Frau gestalkt.

Gespielt wird die Hauptfigur von Schauspieler Richard Gadd (34), der die Serie geschrieben hat. Vieles, was bei «Baby Reindeer» geschieht, hat er in echt so erlebt.

Kein Wunder, brennen Fans darauf, möglichst viel über die Vorbilder für die Filmfiguren herauszufinden. Am spannendsten finden viele sie: Stalkerin Martha Scott. Im echten Leben soll dies angeblich die Schottin Fiona H.* (58) sein.

Internet macht echte Stalkerin ausfindig

Schon kurz nach der Veröffentlichung der Serie auf Netflix hat das Internet die echte Stalkerin Fiona ausfindig gemacht.

Und es kommt, wie es kommen muss: Fleissig werden auf Tiktok und Co. ihre Facebook-Bilder, Jahre alte Tweets und alle Posts, die sie je an Gadd gerichtet hat, geteilt. Als Beweise dafür, dass es sich bei H. tatsächlich um die Vorlage für die Stalkerin handelt.

Aber auch, um sich über sie lustig zu machen. Unter den Posts finden sich Hunderte Kommentare, in denen sie als «fett» und «gruselig» bezeichnet wird. Viele reissen Witze über ihre Rechtschreibung oder die Tatsache, dass sie sich selbst widerspricht.

Schaust du gerne Serien über echte Kriminalfälle?

Sie hat sich inzwischen nämlich mehrfach zur Serie geäussert – sowohl auf Social Media als auch in den Medien. Zuerst behauptete sie, Gadd, also den Erfinder der Serie auf Netflix, gar nicht zu kennen.

Später meinte die angebliche Stalkerin, sie habe ihn nie gestalked – im Gegenteil: Er sei besessen von ihr gewesen. Zudem ärgerte sie sich in der «Scottish Sun» über die Serie: «Das ist eine fette Schauspielerin, die mich darstellen soll.»

«Hochproblematisch»

Hellhörig macht die Tatsache, dass die Stalkerin bei Netflix als psychisch krank dargestellt wird. Die Vermutung liegt nahe, dass auch ihr Vorbild psychische Probleme hat.

Unter anderem deshalb kritisiert Kriminologe Dirk Baier sowohl die Serie als auch die gwundrigen Fans. «Es gibt verschiedene kritische Aspekte», sagt er zu Nau.ch.

«Der erste ist aus meiner Sicht, dass es Netflix anscheinend nicht geschafft hat, die Personen ausreichend zu anonymisieren.» Damit werde auch die offenbar psychisch kranke Stalkerin nicht geschützt.

«Zweitens ist es anscheinend bis heute nicht gelungen, ihr ausreichend Hilfe zukommen zu lassen.» Er frage sich, wie man eine Serie über eine Person machen könne, die man in ihrer schwierigen Lage alleinlasse.

«Drittens ist zu kritisieren, dass es Zuschauenden gefällt, die realen Personen zu identifizieren und in die Öffentlichkeit zu zerren. Hier wird eine Art öffentlicher Pranger erzeugt.»

Netflix: Experte warnt gwundrige Fans

Das sei nie etwas Gutes – und könnte für die Frau gar gefährlich werden. «Das hängt davon ab, welche psychische Erkrankung in welcher Ausprägung existiert.»

Bei Stalkern sei es so, dass sie einer bestimmten Person um jeden Preis nahe sein, sie besitzen wollen. Dabei blenden sie die Umwelt aus – auch Personen, die ihnen sagen, ihr Verhalten sei unangemessen.

«Insofern muss die öffentliche Aufmerksamkeit nicht unbedingt problemverschärfend sein. Über weibliche Stalkerinnen weiss man allerdings noch wenig.» Möglich ist aber, dass die Frau selbstschädigende Tendenzen hat – die könnten mit der öffentlichen Aufmerksamkeit verschärft werden.

Wie benimmst du dich im Internet?

Deshalb warnt Baier: «Jeder, der jetzt in den sozialen Medien gegen die Frau hetzt, sollte sich dieser möglichen Folgen bewusst sein.» Gut wäre es, gar nichts über sie zu posten.

«Das ist aber wohl naiv. Darum sollten sich die Vernünftigen unbedingt stärker zu Wort melden.» Und auch die Plattformen selbst sollten die Diskussionen regulieren, so Baier. Wird immer aggressiver geschrieben, müssen Chats geschlossen und Posts gelöscht werden.

Gegenüber dem «Guardian» erklärte Richard Gadd, Namen und Details seien verändert worden, um die echten Personen zu schützen. Später postete er ein Statement auf Instagram, in dem er dazu aufrief, mit den Spekulationen aufzuhören.

Aufruf

Wurdest du schon einmal Opfer von Stalking und möchtest deine Geschichte teilen? Melde dich unter [email protected].

***

Brauchst du Hilfe?

Bist du depressiv oder hast du Suizidgedanken? Dann kontaktiere bitte umgehend die Dargebotene Hand (www.143.ch).

Unter der kostenlosen Hotline 143 erhältst du anonym und rund um die Uhr Hilfe. Die Berater können Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen. Auch eine Kontaktaufnahme über einen Einzelchat oder anonyme Beratung via E-Mail sind möglich.

Hilfe für Suizidbetroffene: www.trauernetz.ch

* Name der Redaktion bekannt.

Kommentare

User #2311 (nicht angemeldet)

Um gestalkt zu werden, braucht man kein Netflix. Dies kann einem durch einen ex Schulkollegen, aus einer 45 Jahre zurückliegenden Schulzeit, welcher einem eines Tages in wahrsten Sinne des Wortes vor die Füsse fällt und sich immer wieder "ganz zufällig" dort aufhält, wo man gerade ist. Mit diesem ex Kollegen bestand 45 Jahre lang keinen Kontakt und plötzlich geht dies sogar so weit, dass er einem am Einsteigen in den Buss zu hindern versucht und einem mal ordentlich vor dem Gesicht herumfuchtelt. Das Ganze ist völlig irrational, wo dieser auch psychisch krank ist und ihn auf die Menschheit loslässt. Als ich an einem Morgen einkaufen ging, Dasselbe vor dem Coop, wo ich auf der anderen Seite lief und er hinüberbrüllte, hallo sind Sie Frau .... wir gingen zusammen in die Schule, Alarm, Alarm!. Ich änderte die Route um ihm nicht mehr zu begegnen. Wie es Symptombehandlungen so an sich haben, klappte dies eine Zeit lang gut, wo ich ihm über Mittag begegnete und er wieder sein Schulnarrativ hervorbrachte und zur Klette wurde. Es ist eh ein Armutszeugnis, wenn sich jemand an ex Schulkolleginnen klammern muss und es während 45 Jahren nicht fertigbrachte ein soziales Netz aufzubauen. Somit wird es endlich an der Zeit, dass man Stalker an die kurze, wenn nicht sogar sehr kurze Leine nimmt und einen eigenen Straftatbestand für Stalking schafft und man nicht mit einem angeblich "genügenden" Schutz abgespeist wird!

User #3682 (nicht angemeldet)

Läck sind die Menschen Lügner. Die Mehrheit benimmt sich "anständig" im Internet. Jaja, wir glauben es blind!

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