Anti-Terror-Gesetz: Die Freiheit, die wir meinen

Min Li Marti
Min Li Marti, Beat Flach

Bern,

Das Anti-Terror-Gesetz ist ein Angriff auf die Freiheitsrechte. Dabei ist unklar, ob dieser Abbau von Freiheit zu mehr Sicherheit führt. Ein Gastbeitrag.

Anti-Terror-Gesetz
Min Li Marti (SP/ZH) und Beat Flach (GLP/AG) sind Mitglieder der sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates. Sie fordern ein Nein zum Anti-Terror-Gesetz am 13. Juni. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Das Anti-Terror-Gesetz soll den Behörden mehr Möglichkeiten zur Terror-Bekämpfung geben.
  • Beat Flach (GLP) und Min Li Marti (SP) sitzen in der sicherheitspolitischen Kommission.
  • Sie erklären, weshalb sie das Gesetz zur Ablehnung empfehlen.

Seit dem schrecklichen Attentat vom 11. September 2001 wird eine politische Debatte in der Sicherheitspolitik geführt, die sich um den vermeintlichen Gegensatz zwischen Freiheit und Sicherheit dreht.

Oder genauer gesagt, wie viel Freiheit man opfern will, um etwas mehr Sicherheit zu gewinnen. Erstaunlicherweise zeigt sich, dass jene, die die Freiheit in der politischen Sonntagsrede gerne hochhalten, recht schnell bereit sind, sie zu opfern.

Anti-Terror-Gesetz terror
«Terroristische Gefährder» sollen mit dem Anti-Terror-Gesetz besser überwacht und wenn nötig, bestraft werden. Alles wäre aber präventiv, sie müssten also nur unter Verdacht stehen. Das ist - Keystone

Das Gesetz über polizeilichen Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) ist ein Paradebeispiel dafür. Das Anti-Terror-Gesetz soll der Bundespolizei ermöglichen, eine Reihe von Massnahmen wie Meldepflicht, Kontakt- oder Rayonverbot sowie einen Hausarrest gegen sogenannte Gefährder zu erwirken.

Das Problem liegt dabei zum einen bei der schwammigen Definition des Terrorismus und einer sehr weit gehenden Vorstellung von Prävention, die Verbrechen am besten schon verhindert, bevor sie überhaupt geplant werden.

Anti-Terror-Gesetz wäre schärfer als im Rest Europas

Dass dabei mit einer «prognostischen Unsicherheit» zu rechnen ist, wie in der Botschaft des Bundesrats steht, wird bewusst in Kauf genommen. Beides wurde von internationalen Menschenrechtsexpertinnen und Strafrechtsprofessoren scharf kritisiert – und von vorberatender Kommission und Parlament schlicht ignoriert.

Die Schweiz schafft hier eine Anti-Terror-Gesetzgebung, die weit über diejenige von anderen europäischen Staaten hinausgeht, auch über diejenige von Grossbrittanien oder Frankreich, die ihre Gesetze aufgrund von Terroranschlägen massiv verschärft hatten. Parallel zur Beratung des PMT wurde auch das Strafrecht verschärft: Dabei wurden Straftaten im Vorfeld wie beispielsweise Anwerbung oder Reisevorbereitungen klarer unter Strafe gestellt.

Anschlag Strassburg Terrorismus
13.12.2018, Frankreich, Strassburg: Frauen legen nach einem Angriff in der Gegend des Strassburger Weihnachtsmarkts an einem Tatort Kerzen nieder. - dpa

Eine Untersuchung von zwei Wissenschaftlern der Universität Lausanne (Republik vom 17.5.2021) zeigt, dass bereits heute Verurteilungen aufgrund von Social-Media-Aktivitäten stattgefunden haben.

Es ist also nicht so, dass im Rahmen des Strafrechts keine Mittel vorhanden sind. Das Anti-Terror-Gesetz will noch vorher eingreifen: Vermutlich da, wo sich erst erste Gedanken formieren.

Schwammige Definitionen könnten potenziell Menschenrechte verletzen

Das ist aber potenziell brandgefährlich, gerade wenn die Definition so schwammig bleibt. Die Gedanken sind schliesslich frei oder so glaubten wir zumindest bis anhin. Wir dürfen nicht vergessen, dass Grundrechte keine Erfindung von linksgrünen Gutmenschen sind. Sie sind Freiheitsrechte und zentrale Pfeiler des liberalen Rechtsstaats und der liberalen Werthaltung.

Grundrechte sind Abwehrrechte, die den Bürger oder die Bürgerin vor der Willkür des Staates schützen. Habeas Corpus, der britische Rechtsakt des 17. Jahrhunderts ist einer der Ausgangspunkte des modernen liberalen Rechtsstaates. Er besagt, dass kein Untertan des britischen Königreichs in Haft gesteckt werden kann, ohne dass er vor einem Gericht verurteilt wird.

anti-terror-gesetz
Hausarrest mit Fussfesseln: Das Anti-Terror-Gesetz kann dies verordnen.(Symbolbild) - Keystone

Dieser Grundsatz ist auch in unserem Rechtssystem und in der europäischen Menschenrechtskonvention verankert. Die Mehrheit der nationalrätlichen Sicherheitskommission wollte dies mit einer Präventivhaft abschaffen, im vollen Wissen, dass diese nicht menschenrechtskonform ist.

Aber auch der im jetzigen Gesetz vorgesehene Hausarrest kann die Menschenrechtskonvention verletzen, wenn sie zu restriktiv ausgelegt ist. Das Rechtsgutachten von Professor Donatsch stellt hier keinesfalls den Blankoscheck aus, den die Befürworter des Gesetzes in das Gutachten hereinlesen.

Beschuldigen auf Vorrat?

Gemäss Artikel 32 der Bundesverfassung gibt es zwei Arten von Menschen: Schuldige und Unschuldige. Nicht gemeint damit sind Menschen, die vielleicht einmal schuldig sein könnten oder vielleicht einmal Böses vorhaben. Die Unschuldsvermutung ist ebenfalls ein zentraler Grundpfeiler des liberalen Rechtsstaates. Schon vor vierhundert Jahren schrieb der Basler Stadtkonsulent, «dass besser seye, zehen Schuldige, die man nicht genugsam überzeügen kann, laufen zu lassen, als einen Unschuldigen zu verdamen».

Corona-Protest
«Grundrechte sind Abwehrrechte gegen den Staat» steht auf einem Schild während einer Demonstration gegen die Corona-Massnahmen. - dpa

Heute scheint – auch für Liberale – eher das Gegenteil zu gelten. Da verdammt man lieber schon mal auf Vorrat. Mit unserer Nonchalance gegenüber zentralen Grundwerten schwächen wir uns gegenüber von Terroristen, die völlig andere Vorstellungen von Rechtsstaat, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Mitwirkung oder Redefreiheit haben. Wie können wir vermitteln, dass unsere Werte überlegen sind, wenn wir sie selber nicht ernst nehmen?

Nutzen von Anti-Terror-Gesetz angezweifelt

Nun wäre es das vielleicht – um beim vermeintlichen Gegensatz von Freiheit und Sicherheit zu bleiben – alles wert, wenn damit Terrorattacken verhindert werden könnten. Nur wie viel das Anti-Terror-Gesetz real nützt, ist schwer zu sagen. Studien zeigen, dass Radikalisierungen befördert werden, wenn Massnahmen als ungerecht und stigmatisierend verstanden werden können.

Markus Mohler
Markus Mohler an einer Medienkonferenz des UVEK über Sicherheit in der Zivilluftfahrt. - Keystone

Der ehemalige Polizeikommandant und Jurist Markus Mohler zweifelt generell an der Wirksamkeit der Massnahmen: «Die einzelnen Massnahmen taugen nicht, um die Ausführung einer terroristischen Straftat durch eine tatsächlich dazu bereite Person zu verhindern» (PMT-Gesetz: Verfahren und Zweckerreichung, sui generis 2021). Das Gesetz ziele eigentlich nicht darauf, einen Anschlag zu verhindern, sondern könne lediglich kontrollieren, ob die angeordneten Massnahmen eingehalten werden. Leider hat sich bis jetzt gezeigt: massive Verschärfungen verhindern.

Bei vielen Attentätern hat sich im Nachhinein festgestellt, dass sie den Behörden bereits bekannt waren. Dass die Taten dennoch nicht verhindert werden konnten, hat unterschiedliche Gründe. Unter anderem ist es auch eine Frage der Ressourcen. Das Hauptproblem: Prognostik ist unsicher.

Oder anders gesagt: Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Die Freiheit aller einzuschränken, ohne dabei wirklich an Sicherheit zu gewinnen, erscheint uns unter dem Strich gefährlicher für unsere Gesellschaft und unsere Demokratie. Darum stimmen wir am 13. Juni Nein beim Anti-Terror-Gesetz.

Zu den Autoren: Min Li Marti ist Nationalrätin der SP aus Zürich, Beat Flach ist Nationalrat der GLP aus dem Kanton Aargau, Beide sind Mitglieder der sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats.

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