Anti-Terror-Gesetz: Nicht nur willkürlich, auch unnötig und nutzlos

Patrick Walder
Patrick Walder

Bern,

Am 13. Juni wird in der Schweiz auch über das Anti-Terror-Gesetz abgestimmt. Amnesty International Schweiz lehnt das Gesetz ab. Ein Gastbeitrag.

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Patrick Walder, Kampagnenleiter Amnesty International. - zvg / Tom Huber

Das Wichtigste in Kürze

  • Das Anti-Terror-Gesetz kommt am 13. Juni an die Urne.
  • Für Amnesty International Schweiz ist das Gesetz willkürlich und unnütz.
  • Kampagnenleiter Patrick Walder erklärt, weshalb.

Das Polizeigesetz zur Bekämpfung von Terrorismus soll der Bundespolizei die fast unbegrenzte Macht geben, gegen unschuldige Erwachsene und selbst Kinder Zwangsmassnahmen einzusetzen – ohne Verdacht auf eine Straftat und ohne die übliche Kontrolle durch ein Gericht.

Das Anti-Terror-Gesetz fördert Willkür und gefährdet rechtstaatliche Prinzipen. Vor allem aber ist es unnötig, denn die angebliche Lücke bei der Terrorbekämpfung, die das neue Gesetz schliessen soll, existiert nicht. Die Schweiz hat ihre Massnahmen und gesetzlichen Grundlagen für die Terrorbekämpfung in den letzten Jahren beständig ausgebaut.

In keinem anderen Bereich reicht der strafrechtliche Katalog so tief ins Präventive wie bei der Terrorbekämpfung. Wer Mitglied einer terroristischen Organisation ist, wer diese unterstützt, finanziert oder für sie wirbt, wer Fotos oder Videos terroristischer Gruppen in den sozialen Medien verbreitet, wer mit Gewalt droht oder einen Anschlag vorbereitet – kann jetzt schon strafrechtlich verfolgt und verurteilt werden. Und das geschieht auch in der Praxis.

Mit Anti-Terror-Gesetz kommt Willkür

Eine Untersuchung der Universität Lausanne über sämtliche Verfahren wegen terroristischen Delikten am Bundesstrafgericht seit 2004 zeigt: Kein einziger der insgesamt 29 Angeklagten wurde für Gewalthandlungen verurteilt. Bei den verurteilten Taten handelte es sich primär um Aktivitäten im Internet. Bei neun der insgesamt 27 Verurteilten beschränkten sich die Taten sogar ausschliesslich auf Internet-Aktivitäten.

Obwohl also terroristische Aktivitäten schon heute weit im Vorfeld einer Gewalttat strafrechtlich verfolgt und bestraft werden können, sollen die Behörden jetzt mit dem Anti-Terror-Gesetz gewissermassen die Zukunft vorhersehen.

Antiterrorgesetz
Symbolbild zum Anti-Terror-Gesetz. - ejpd.admin.ch

Das Gesetz richtet sich gegen sogenannte Gefährder, die noch nichts verbrochen haben, aber in Zukunft gefährlich sein könnten. Die Bundespolizei wird ermächtigt, Prognosen über die zukünftige Gefährlichkeit von Personen zu machen, was der Willkür Tür und Tor öffnet.

Die präventiven Massnahmen werden zwangsläufig Menschen treffen, von denen nur vermeintlich eine Gefahr ausgeht. Und wer zu Unrecht verdächtigt wird, wird beweisen müssen, dass er in Zukunft ungefährlich ist – das ist nicht nur unmöglich, sondern ein kafkaesker Alptraum. So wird die Unschuldsvermutung ausgehebelt und eine Gefährlichkeitsvermutung eingeführt.

Terror-Definition sehr weit gefasst

Wenn die Bundespolizei eine Person als gefährlich eingeschätzt hat, darf sie die Zwangsmassnahmen auch gleich eigenmächtig anordnen – ohne richterliche Kontrolle (ausser beim Hausarrest). Die Polizei ist also zugleich Richter und Henker, was ein weiteres rechtsstaatliches Prinzip – die Gewaltenteilung – verletzt.

Welche Profile von «Gefährdern» hat das Polizeigesetz im Visier, wenn Personen schon heute für Internet-Aktivitäten als Terroristen verurteilt werden? Als terroristisch gilt gemäss Anti-Terror-Gesetz die «Verbreitung von Furcht und Schrecken» mit politischen Absichten. So kann selbst legitimer politischer Protest polizeilich verfolgt werden – von Provokateuren in den sozialen Medien, über Corona-Rebellen bis zu Klimaaktivistinnen.

amnesty international
Amnesty International berichtet von Menschenrechtsverletzungen an nach Syrien zurückgekehrten Flüchtlingen. - Amnesty International

Die weit gefasste Terror-Definition stellt einen Bruch dar mit internationalen Standards und mit der Schweizer Gesetzgebung: Im Strafrecht wird für Terrorismus ein «Gewaltverbrechen» vorausgesetzt, im Nachrichtendienstgesetz eine «konkrete Bedrohung der inneren oder äusseren Sicherheit». Die Schweiz macht sich so zum Vorbild für autoritäre Staaten, die nur zu gerne Oppositionelle als «Terroristen» verfolgen.

Und wozu das Ganze? Wer wirklich einen Anschlag begehen will, kann durch die Zwangsmassnahmen nicht abgehalten werden – weder durch elektronische Fussfesseln noch durch Hausarrest. Die Massnahmen im Anti-Terror-Gesetz nützen nichts zur Verhinderung von Gewalt, werden aber viele Unschuldige treffen und deren Leben massiv einschränken. Für diese Illusion totaler Sicherheit sollen wir unsere Rechte und rechts-staatliche Grundsätze opfern?

Zum Autor: Patrick Walder ist Kampagnenleiter bei Amnesty International Schweiz. Zuvor war er Delegierter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz.

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