Ein Schlachthaus-Besuch als Weihnachts-Geschenkli?
Die Weihnachtszeit naht, und damit auch die Suche nach einem passenden Geschenk. Kolumnistin Mirjam Walser hat einen besonderen Vorschlag der etwas anderen Art.
Das Wichtigste in Kürze
- Kinder ahnen oft nicht, was hinter ihren geliebten Poulet Nuggets steckt.
- Eltern schützen ihre Kinder vor der unbequemen Wahrheit.
- Kolumnistin Mirjam Walser findet, dass nicht Kinder, sondern andere Schutz brauchen.
Weihnachten naht, und damit die grosse Frage: Was schenkt man den Kindern, Nichten und Neffen, wenn das Kinderzimmer längst aus allen Nähten platzt? Es soll etwas Besonderes sein, unvergesslich und emotional – kein langweiliges Plastikspielzeug.
Aber leicht ist das nicht. Eine Entdeckungsreise in einer Höhle? Abenteuerspielplatz? Piratenschiff? Alles schon erlebt. Tiere? Ja, das wäre was! Der Junge liebt Tiere. Streichelzoo und Wildtierpark sind aber auch schon abgehakt.
Doch dann hat die Tante, diese verrückte und tatsächlich einzigartige Idee …
Ein unvergessliches Geschenk
«Frohe Weihnachten, Kleiner! Deine Tante hat eine Überraschung: Morgen geht ihr ins Schlachthaus. Das wird spannend, da lernst du, woher deine Nuggets kommen!»
Wie bitte? Schlachthaus? Die Begeisterung wäre wohl überschaubar. Und das nicht ohne Grund. Niemand – weder Kinder noch Erwachsene – will freiwillig mit eigenen Augen sehen, wie ein Tier geschlachtet wird. Manche Wahrheiten packt man lieber nicht unter den Weihnachtsbaum.
Wir schützen Kinder manchmal vor der Realität – aus gutem Grund. Denn wir wissen, was dort geschieht. Es könnte sie verstören, sogar traumatisieren. Aber auch für uns Erwachsene ist ein Schlachthaus schwer erträglich. Die meisten von uns möchten nicht hören oder erleben, wie Tiere getötet werden.
Die Vorstellung, wie Tiere dort ihr Leben verlieren, lässt uns instinktiv zurückschrecken. Und dieses Unbehagen zeigt: Wir haben Mitgefühl – zumindest theoretisch.
Aus den Augen, aus dem Sinn
Dieses Mitgefühl für Tiere ist tief in uns verankert. Wir lieben Hunde, Katzen und Meerschweinchen – Lebewesen, die wir niemals ins Schlachthaus bringen würden, selbst wenn die Schenkeli des Hundes zum Reinbeissen aussehen.
Bei Schweinen, Kälbern und Hühnern sieht das anders aus. Feiste Hühnerbrüstli? Ab ins Schlachthaus. Diese Tiere essen wir lieber.
Um diese Doppelmoral zu ertragen, verdrängen wir. Schlachthäuser werden bewusst an den Rand gedrängt. Sie liegen in Industriegebieten, weit weg von unserem Alltag.
Diese Strategie funktioniert erstaunlich gut, besonders wenn man bedenkt, wie viele Tiere in der Schweiz jährlich geschlachtet werden: über 82,6 Millionen. Solche Zahlen machen klar, dass dieser Job nicht der Metzger um die Ecke erledigt, der den Tieren vor dem Todesschuss noch den Kopf tätschelt und nette Abschiedsworte ins Ohr flüstert.
Für diese Mengen – für unseren Fleischkonsum – braucht es industrielle Schlachthöfe, wie den geplanten Mega-Betrieb von Micarna in St. Aubin im Kanton Freiburg. Hier sollen in Zukunft 31 Millionen Hühner jährlich getötet werden.
Was in so einem Massenschlachthof passiert, will niemand sehen. Schon der Gedanke daran ist unangenehm. Und genau deshalb sprechen wir kaum darüber – «aus den Augen, aus dem Sinn». Aber die Realität bleibt bestehen, auch wenn wir sie ignorieren.
Wer genau muss geschützt werden?
Wir würden unsere Kinder niemals ins Schlachthaus mitnehmen. Warum? Weil wir genau wissen, wie grausam es dort zugeht. Wir schirmen unsere Kinder davon ab, weil es «zu viel» für sie wäre – während wir ihnen gleichzeitig die Produkte dieser Brutalität zum Essen vorsetzen.
Vielleicht sollten wir deshalb weniger uns und die Kinder vor der Realität schützen, sondern jene, die am meisten daran leiden. Das sind nicht wir, sondern die Tiere.
Und wir können diese Realität sogar ändern, statt sie stillschweigend zu akzeptieren – jeden Tag. Wie? Ganz einfach: pflanzliche Schnitzel und Würste essen, statt Poulet Nuggets und Entrecôte.
Gnadenhof statt Schlachthaus
Zugegeben, ein Besuch in einem Schlachthaus als Weihnachtsgeschenk ist etwas übertrieben. Wie wäre es stattdessen mit einem Besuch auf einem Gnadenhof? Hier dürfen Tiere, die vor dem Schlachthaus gerettet wurden, ein sicheres und friedliches Leben bis zu ihrem natürlichen Lebensende führen.
Glänzende Kinderaugen sind bei so einem Besuch sicher. Und wenn das den verwöhnten Sohnemann immer noch nicht beeindruckt, bleibt ja noch die Schlachthaus-Tour. Aber Achtung: Heulkrampf garantiert.
Zur Person: Mirjam Walser (38) schreibt auf Nau.ch regelmässig zum Thema Veganismus und Tierrechte. Als Coach und Gründerin der Vegan Business School ist sie Expertin für veganes Unternehmertum und vegane Innovationen.