Gegnerinnen der Burka-Initiative: Wir müssen reden
Ich kann absolut nicht nachvollziehen, wie Vorlagen Gegner so bereitwillig in die Falle der Selbstbestimmung tappen, schreibt Freidenker Andreas Kyriacou.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Schweiz stimmt am 7. März über das Verhüllungsverbot ab.
- Andreas Kyriacou hält nichts vom Niqab, aber auch wenig vom Verbot.
- Er nervt sich aber über die Romantisierung des Niqab durch das Nein-Lager.
Es gibt gute Gründe, das Verhüllungsverbot abzulehnen. Zum Beispiel, leitet sich aus dem Unbehagen, das wir empfinden, wenn wir einer verhüllten Person begegnen, kein Recht ab, deswegen nur Unverhüllten zu begegnen.
Und es kann in einer Zeit, in der dank Videoüberwachung und Gesichtserkennung ein ziemlich lückenloses Verfolgen uns aller technisch simpel, billig und schnell geworden ist, legitime Gründe geben, nicht überall und jederzeit erkannt zu werden.
Und natürlich darf und soll darauf hingewiesen werden, dass die Initianten als Kämpfer für Frauenrechte unglaubwürdig sind.
Reden müssen wir nicht über die Nein-Parole, aber über die Nein-Kampagne
Viele, die aktiv für ein Nein votieren, versuchen aber mit ganz anderen Beiträgen zu überzeugen. Etliche davon sind problematisch bis unglaubwürdig.
Da ist zunächst einmal das Argument, das Verbot dränge diejenigen Frauen, die zum Niqab gezwungen werden, aus der Öffentlichkeit. Natürlich: diese Gefahr besteht. Das Argument wirkt aber schnell ziemlich empathielos.
Hört denn die gesellschaftliche Verantwortung wirklich auf, wenn wir den Frauen dieses Bisschen Restfreiheit gewähren? Fragt man nach, heisst es in der Regel, Emanzipation könne man nicht erzwingen, der Schritt müsse schon von den Frauen selbst kommen.
Beim Thema häusliche Gewalt herrscht (ausser vielleicht im Umfeld der Initianten) doch der Konsens, dass der Staat auch eine Verpflichtung gegenüber denjenigen Frauen hat, die es nicht aus eigener Kraft schaffen, ihrer Situation zu entkommen.
Die unterdrückte Niqab-Trägerin fristet in der Nein-Kampagne allerdings eher ein Schattendasein. Viel lieber erzählt man von der selbstbestimmten Konvertitin, die den Niqab nun wirklich freiwillig trage. Man verweist auf Interviews und Studien, die darlegen, dass in Europa diese Gruppe dominiere.
Verzerrende Forschung
Man sollte sich aber im Klaren sein, dass eine Kampf-Niqabträgerin in aller Regel viel mitteilungsfreudiger ist und viel eher den Freiraum hat, sich von Fremden interviewen zu lassen, als eine Frau, deren familiäres Umfeld sie zum Niqab zwingt. Diese Verzerrung ist bei dieser Form von empirischer Forschung kaum zu vermeiden. Dessen sollte man sich bewusst sein, wenn man solche Forschungsergebnisse ins Feld führt.
Und man sollte auch die Offenheit haben, dort hinzusehen, wo es keine Verhüllungsverbote, aber grosse erzkonservative muslimische Gemeinschaften gibt. Elham Manea zeigt in ihrem Buch «Women and Sharia Law» deutlich, wie in Grossbritannien eine sehr permissive Haltung des Staates extrem frauenfeindliche religiöse Praktiken begünstigt.
Der Niqab ist ein Zeichen des Extremismus
Klar, die Konvertitinnen, die den Niqab als Lockmittel für die Suche nach einem frommen Partner überziehen, gibt es tatsächlich. Man darf sie also in der Debatte selbstredend erwähnen. Was aber unverantwortlich ist: den Niqab als Pop-Utensil zu verklären. Er wird heutzutage ausschliesslich von radikal-muslimischen Gruppierungen propagiert. Er lässt sich nicht aus diesem islamofaschistischen Kontext lösen.
Am Versuch, ihn als Gegenstand des Mainstream-Islam darzustellen, können eigentlich nur zwei Seiten Interesse haben:
- die Initianten, die implizit die ganze Religionsgemeinschaft ins Visier nehmen wollen, und
- die muslimischen Extremisten, die ihre Normen als bindend für die ganze Umma darzustellen versuchen.
Für liberale und Ex-MuslimInnen ist der Versuch, den Niqab zu normalisieren, nur schwer zu ertragen. Ich vermute aufgrund von Gesprächen, dass die muslimisch sozialisierten Stimmberechtigten mehrheitlich ja stimmen werden.
Ich kann wirklich nicht nachvollziehen, wieso Gegner der Vorlage so bereitwillig in diese Falle tappen. Sie gehen aber noch weiter, sie versuchen den Niqab als gleichbedeutend zu einem Mini-Jupe, einem Kostüm oder einer Tracht darzustellen – Kleidungsstücke, die fallweise an- oder ausgezogen werden.
Am weitesten geht Operation Libero mit einem Wimmelbild, in der eine Niqabträgerin inmitten von Personen in Superheldenkostumen und ähnlichen Outfits steht. Dass das noch mit dem Titel «Freiheit: für alle was anderes» verziert wird, schlägt dem Fass den Boden aus.
Operation Libero so unseriös wie radikale Impfgegner
Der Versuch, dieses Symbol der Unfreiheit und der Entidentifizierung als Zeichen der Selbstbefreiung zu verklären, ist nicht weniger jenseits als wenn selbsternannte «Querdenker» Plakate mit «impfen macht frei» hochhalten.
Interessanterweise fehlt auf dem Operation-Libero-Wimmelbild die Ku-klux-Klan-Kutte, obschon OL-Sprachrohr Stefan Schlegel betont, dass er sich auch für deren Tragen stark machen würde. Der KKK-Vergleich zeigt, wie schnell die Diskussion kulturrelativistisch wird. Bei der KKK-Uniform würde das Publikum kaum bejahen, dass sich dahinter eine legitime Haltung verbirgt. Man versteht die rechtsradikale Botschaft und versucht nicht, sie, schönzureden.
Hätte ich eine Affinität zu Verschwörungstheorien, würde ich wohl glauben, die krude Nein-Kampagne sei in Wirklichkeit von Wobmann finanziert, um im linken und liberalen Lager möglichst viele Ja-Stimmen rauszuholen…
Zum Autor: Andreas Kyriacou ist Präsident der Freidenker-Vereinigung der Schweiz (FVS), Gründer des Wissensfestivals Denkfest und des humanistisch und wissenschaftlich ausgerichteten Sommerlagers Camp Quest sowie NGO-Vertreter am Uno-Menschenrechtsrat.
Die FVS vertritt die Anliegen der nichtreligiösen Bevölkerung und setzt sich insbesondere für eine weltlich-humanistische Ethik, die Hochhaltung der Menschenrechte und die Trennung von Staat und Kirche ein.