Gewerkschafter fordert faire Löhne und weniger Stress
Im Gastbeitrag erklärt der Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB), Daniel Lampart, weshalb die Schweiz ein Lohnproblem habe.
Das Wichtigste in Kürze
- Im Gastbeitrag erklärt Daniel Lampart vom SGB, weshalb die Schweiz ein Lohnproblem habe.
- Rund 500'000 Menschen hierzulande verdienen unter 4500 Franken, bei Vollzeitbeschäftigung.
- Menschen mit Lehrabschluss müssten mindestens 5000 Franken im Monat verdienen, so Lampart.
In der Schweiz steigen die Preise viel stärker als die Löhne. Im Herbst gehen auch die Mieten hoch. Viele müssen nun sparen, weil sie weniger Geld zur Verfügung haben. Dazu kommt ein Prämienschock bei den Krankenkassen mit 6,6 Prozent. Eine vierköpfige Familie zahlt heute mehr als 1000 Franken für die Prämien.
Der Bundesrat hat versprochen, dass niemand mehr als 8 Prozent des steuerbaren Einkommens für die Prämien zahlen soll. In der Realität ist die Belastung heute zwei bis drei Mal höher, weil Bund und Kantone die Prämienverbilligungen nur für die einkommensschwächsten Haushalten auszahlen. Normalverdiener gehen leer aus.
Vorwärts bei Löhnen und Arbeitszeitverkürzung
Die Schweiz hat ein Lohnproblem. Ein Viertel aller Berufstätigen mit einer Lehre verdient weniger als 5000 Franken im Monat. Und der Tieflohnsektor wächst in der reichen Schweiz sogar wieder. Rund 500’000 Berufstätige haben einen Lohn von weniger als 4500 Franken pro Monat – wohl bemerkt bei einer Vollzeitstelle. Rund ein Drittel von ihnen hat eine Lehre. Offensichtlich garantiert selbst eine drei- oder vierjährige Ausbildung keinen Schutz mehr vor Dumpinglöhnen. Nicht zuletzt verdienen Frauen immer noch 18 Prozent weniger als Männer. Die Hälfte von ihnen hat ein Monatseinkommen von weniger als 4500 Franken.
Gleichzeitig nimmt der Druck auf die Arbeitsbedingungen zu. Dabei geben selbst die Arbeitgeber in Umfragen zu, dass bei ihnen lange und irreguläre Arbeitszeiten ein Gesundheitsrisiko sind – Tendenz steigend. Um dem Druck standzuhalten, reduzieren viele Berufstätige ihr Arbeitspensum. Bis 1990 zahlten dies die Arbeitgeber, indem sie die Arbeitszeit alle 10 Jahre um 1 bis 2 Stunden verkürzten – bei gleichem Lohn. Seither müssen die Arbeitnehmenden Arbeitszeitverkürzungen selber bezahlen– mit Teilzeit und weniger Lohn.
Bessere Lage der Berufstätigen dank Gesamtarbeitsverträgen und Gewerkschaftsarbeit
Dank Gesamtarbeitsverträgen mit Mindestlöhnen, gewerkschaftlichen Lohnkampagnen und flankierenden Massnahmen steht die Schweiz heute besser da als andere Länder. Trotz Frankenaufwertung und Lohndruck gelang es, die Tieflohnsituation zu entschärfen. Unsere Mindestlohnkampagne «keine Löhne unter 4000 Franken» hat ihre Spuren hinterlassen. Weniger Menschen müssen heute zu einem Tieflohn arbeiten als noch vor 10 Jahren.
Gute Gesamtarbeitsverträge und aktive Gewerkschaften sorgen weltweit dafür, dass die Löhne ausgeglichener verteilt werden und verhindern Dumping und Lohndiskriminierung. Und weil GAV auch Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten und andere Vorteile enthalten, können sie zu besserer Arbeitsqualität und höherer Produktivität führen.
Der 1. Mai hat eine lange Tradition. Auch dieses Jahr mobilisieren die Gewerkschaften am Tag der Arbeit an über 50 Festen und Kundgebungen für bessere Löhne, Renten und Arbeitsbedingungen. Jetzt muss es für die Arbeitnehmenden endlich aufwärtsgehen. Sie haben es verdient. Die Löhne müssen steigen. Wer eine Lehre hat, soll mindestens 5000 Franken Monatslohn verdienen. Auch bei den Krankenkassenprämien braucht es eine Wende. Statt die Steuern für Vermögende und Topverdiener zu senken, sollen die Kantone auch für Normalverdiener Prämienverbilligungen auszahlen.