Kandidiert Kutter? Bundesrat im Rollstuhl wäre «starkes Zeichen»
Nationalrat Philipp Kutter überlegt sich eine Kandidatur als Bundesrat. Laut Behindertenorganisationen könnte er eine «neue Perspektive» einbringen.
Das Wichtigste in Kürze
- Nationalrat Philipp Kutter überlegt sich eine Kandidatur für den Mitte-Bundesratssitz.
- Ein Regierungsmitglied im Rollstuhl wäre eine Premiere.
- Für Behindertenorganisationen könnte dies etwas bewirken – symbolisch und auch politisch.
Das Feld der möglichen Mitte-Bundesräte lichtet sich weiter. Am Montag gab unter anderem Martin Candinas seinen Verzicht auf die Amherd-Nachfolge bekannt.
Zuvor sagten bereits andere Favoriten wie Noch-Parteipräsident Gerhard Pfister oder Ständerat Benedikt Würth ab.
Einer, der es sich zumindest überlegt, ist Nationalrat Philipp Kutter. Das sagte der Zürcher gegenüber der «SonntagsZeitung».
«Aufgrund meiner politischen Erfahrung auch in der Exekutive traue ich mir dieses Amt zu», so Kutter.
Sollte er tatsächlich Bundesrat werden, wäre das eine Premiere. Denn er wäre das erste Mitglied der Landesregierung, das im Rollstuhl sitzt.
Dazu sagt Kutter: «Ich werde abklären, ob ich das Amt als Bundesrat trotz meiner Behinderung ausüben könnte oder ob dem zu viel entgegensteht.»
Pro Infirmis: «Starkes Zeichen» und «neue Perspektive»
Für Schweizer Behindertenorganisationen ist klar: Eine Kandidatur oder gar eine Wahl Kutters wäre ein positives Zeichen.
Philipp Schüepp von Pro Infirmis sagt gegenüber Nau.ch, dass der symbolische Wert «beachtlich» wäre.
«Ein Bundesrat mit Behinderung würde ein starkes Zeichen für eine Gesellschaft setzen, in der Menschen mit Behinderungen überall teilhaben und Diversität als Stärke anerkannt wird.»
Die Bundesräte seien zwar Teil eines Kollegiums. Entsprechend könne ein Bundesrat alleine die Gleichstellung nicht vorantreiben.
«Aber ein Bundesrat mit Behinderungen würde eine neue Perspektive auf alle politischen Fragen einbringen, die heute fehlt», sagt Schüepp.
Entsprechend könnte ein Bundesrat Kutter auch die Politik der Regierung prägen.
«Die Zeit ist reif für einen Bundesrat mit Behinderungen»
Auch Jonas Gerber von der Inclusion Handicap, dem Dachverband der Behindertenorganisationen, sagt zu Nau.ch: «Einer möglichen Kandidatur von Herrn Kutter steht Inclusion Handicap sehr positiv gegenüber.»
Er sei ein äusserst kompetenter und erfahrener Politiker. Dazu habe er den Blick «fürs grosse Ganze», aber auch «für spezifische Herausforderungen».
Für den Dachverband ist klar: «Die Zeit ist reif für einen Bundesrat mit Behinderungen.»
Laut Inclusion Handicap wäre ein Bundesrat mit Behinderungen ein «ganz starkes Signal».
Er hätte aber weit mehr als symbolische Wirkung: Bereits jetzt seien dank den drei Parlamentariern im Rollstuhl Anliegen von Menschen mit Behinderungen präsenter. «Ein Bundesrat mit Behinderungen würde diesen Effekt noch einmal verstärken.»
Paraplegiker-Vereinigung: Wahrnehmung würde sich positiv verändern
Die Schweizer Paraplegiker-Vereinigung (SPV) ihrerseits betont zunächst, dass man politisch neutral sei.
Man unterstütze weder Parteien noch einzelne Personen, so Direktor Laurent Prince gegenüber Nau.ch.
Gleichzeitig sagt Prince aber auch: «Selbstverständlich wäre es für die Gleichstellung von Menschen mit einer Behinderung von grosser Bedeutung, wenn eine Person mit Querschnittlähmung im Bundesrat vertreten ist.»
Die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit würde sich positiv verändern, ist Prince überzeugt. «Menschen mit einer Behinderung würden verstärkt als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft erlebt.»
Wie Pro Infirmis sagt auch die SPV, dass die Wirkung eines Bundesrats im Rollstuhl wohl nicht nur symbolisch wäre.
Prince erklärt: «Jedes Mitglied des Bundesrates bringt seine ganz persönlichen Erfahrungen mit und lässt diese in den Diskurs einfliessen.»
Kutter habe sich beispielsweise bereits in der Vergangenheit für die Anliegen von Menschen mit Behinderungen eingesetzt.
Herausforderungen wären da
Bleibt die Frage, ob die Tätigkeit als Bundesrat im Rollstuhl überhaupt zu bewältigen wäre.
Vorneweg: Grundsätzlich haben alle stimmberechtigten Schweizerinnen und Schweizer das Recht, in den Bundesrat gewählt zu werden.
Sollte eine Person im Rollstuhl auserkoren werden, müsste man ihr die Ausübung des Amtes also letztlich irgendwie ermöglichen.
Es gebe sicher Herausforderungen, sagt SPV-Direktor Prince. Die Schweiz habe auf verschiedenen Ebenen «immensen Nachholbedarf» bezüglich der Rechte von Menschen mit Behinderungen.
Ein konkretes Beispiel, das Prince nennt, ist die Zugänglichkeit von Gebäuden, Verkehrsmittel oder anderen Infrastrukturen.
Diese sei in der Schweiz, aber auch im Ausland «nicht durchwegs gegeben». Der Tetraplegiker Kutter, der im Alltag mit einem Elektrorollstuhl unterwegs ist, sei auf diese Barrierefreiheit angewiesen.
«Inklusion ist möglich»: Nationalräte als Beispiele
Auch Gerber von Inclusion Handicap sagt: «Im Falle von Herrn Kutter müsste insbesondere die Barrierefreiheit gewährleistet sein.» Aber das müsse sie ja eigentlich auch sonst in der Schweiz.
Das Fazit des Dachverbands: «Die Frage, ob die Schweiz bereit für einen Bundesrat im Rollstuhl ist, stellt sich aus unserer Sicht nicht. Sie muss es sein.»
Schüepp von Pro Infirmis hat keine Bedenken: «Heute sind drei Nationalräte mit Behinderungen im Bundeshaus vertreten. Alle unnötigen Hindernisse, die sich zu Beginn ihrer Amtszeit gestellt hatten, wurden aus dem Weg geräumt.»
Dies zeigt laut Schüepp: «Inklusion ist möglich, wenn der Wille da ist – im Bundesrat wie in der Gesellschaft.»
Im Nationalrat politisieren derzeit drei Menschen mit Behinderungen: Neben Kutter sind dies Mitte-Parteikollege Christian Lohr und SP-Mann Islam Alijaj.