Longchamp: Abstimmung über Covid-19-Gesetz ist offen
Am 28. November stimmt die Schweiz erneut über das Covid-19-Gesetz ab. Claude Longchamp rechnet mit einem knappen Ja zur Zertifikatspolitik des Bundesrats.
Das Wichtigste in Kürze
- Am 28. November wird ein Teil des Covid-19-Gesetzes zur Abstimmung vorgelegt.
- Politologe Claude Longchamp analysiert die kommende Volksabstimmung für Nau.ch.
- Er erwartet, dass die Vorlage mit einem knappen Ergebnis angenommen wird.
Die Corona-Pandemie verlangte vom Bundesrat rasches und weitreichendes Handeln zum Schutz von Menschen und Unternehmen. Das Parlament hat dazu im September 2020 das spezifische Covid-19-Gesetz verabschiedet. Am 28. November 2021 wird ein Teil des Gesetzes zur Abstimmung vorgelegt, nachdem ein weiteres Referendum zustande gekommen ist.
Es geht dabei um die Anpassungen, die das Parlament im März 2021 beschlossen hat. Sie betreffen die wirtschaftliche Hilfe für Branchen und weitere Unterstützungslücken. Sie liefern auch die gesetzliche Grundlage für das Covid-19-Zertifikat für Genesene, Geimpfte und Getestete.
Das Referendum zum Covid-19-Gesetz
Drei Komitees haben Unterschriften gegen das revidierte Covid-19-Gesetz vom 21. März 2021 gesammelt. Namentlich waren dies der Verein «Freunde der Verfassung», das «Netzwerk Impfentscheid» und das «Aktionsbündnis Urkantone», unterstützt durch die Junge SVP.
Eingereicht wurden rund 180’000 Unterschriften, die meisten davon nicht beglaubigt. Von insgesamt 75’336 berücksichtigen Unterschriften sind 74’469 gültig. Damit ist das Referendum zustande gekommen.
Die Standpunkte in Kürze
Das Covid-19-Gesetz erlaubt es gemäss Bundesrat und Parlament, Menschen und Unternehmen besser zu schützen. Die Anpassungen vom März 2021 weiten die wichtige wirtschaftliche Hilfe aus und schliessen Unterstützungslücken. Das Covid-19-Zertifikat vereinfacht Auslandsreisen und ermöglicht die Durchführung bestimmter Veranstaltungen.
Für das Komitee ist die Gesetzesänderung vom März 2021 unnötig und extrem. Zum Schutz vor Covid-19 oder anderen Krankheiten genügen ihres Erachtens die bestehenden Gesetze. Nach Ansicht der Komitees führt die Gesetzesänderung auch zu einer Spaltung der Schweiz und zu einer massiven Überwachung von allen.
Bei einem Nein gilt das Covid-19-Zertifikat bis am 19. März 2022 weiter. Erst dann läuft die einjährige gesetzliche Grundlage aus. Die Gegner:innen argumentieren, bei einem Nein könne das Parlament umgehend ein neues Gesetz für das Ausland erarbeiten, das Zertifikat im Inland aber fallenlassen.
Die Akzeptanz des Covid-19-Regimes
Umfragen zeigen regelmässig, dass eine Mehrheit hinter dem Vorgehen des Bundes steht. Je eine Minderheit möchte ein strengeres Vorgehen respektive ein lockereres. Letzteres ist das Hauptpotenzial für die Gegner:innenschaft. Die Schätzungen dazu sind verschieden, je nachdem welche Massnahme im Zentrum steht. Die Anteile schwanken von rund 25 bis rund 50 Prozent. Aktuell sind 63 Prozent dafür, dass Corona-Tests selber bezahlt werden müssen. Die erklärte Gegnerschaft umfasst 35 Prozent.
Die Impfquote wird im Behördenlager als zentrale Voraussetzung der Unterstützung vom Covid-19-Gesetz angesehen. Momentan liegt sie bei 58 Prozent für zwei und 63 Prozent für eine Spritze. Angenommen wird, dass die Impfung eine zentrale Voraussetzung dafür ist, dass die vierte Welle deutlich schwächer als etwa die zweite ausgefallen ist.
Die Referenzabstimmung zum Covid-19-Gesetz
Die erste Volksabstimmung über das Covid-19-Gesetz vom 13. Juni 2021 endete mit einem Ja-Stimmenanteil von 60 Prozent. Obwohl nicht nötig, waren 18 Kantonsstimmen dafür, nur 5 dagegen (AI, AR, GL, ZG, UR, SZ, OW, NW).
Die Nachanalyse legte vor allem politische Einstellungen als massgebliche Gründe nahe. Die Ja- und Nein-Seite unterschieden sich namentlich hinsichtlich des Behördenvertrauens (BAG, mehrheitlich positiv), des Regierungsvertrauens (Bundesrat, mehrheitlich positiv) und beschränkt des Vertrauens in die Opponenten (FdV, mehrheitlich negativ). Hinzu kam die Parteienbindung (mehrheitliche Ablehnung bei Wählenden der SVP und kleiner Parteien). Gesellschaftlich resultierte eine Teilung entlang des Alters mit gegensätzlichen Mehrheiten bei U40 (Ablehnung) und Ü40 (Zustimmung).
Begründet wurde das Ja mit der Notwendigkeit geordneter Massnahmen respektive der Unterstützung notleidender Branchen. Die Gegenseite befürchtete, die Massnahmen würden für Zwecke ausserhalb der Covid-19-Bekämpfung verwendet.
Vorbefragungen zeigten zudem eine Erosion der Zustimmungsbereitschaft im Abstimmungskampf. Das war nicht der normale Verlauf bei einer Behördenvorlage. Es entspricht dem, den man bei einem themen-skeptischen Publikum findet. Es zeigten sich Wirkungen der Nein-Kampagne. Sie lösten den Nein-Trend aus mit 17 Prozentpunkten Abnahme im Ja aus.
Der neue Abstimmungskampf
Die neue Volksabstimmung findet zusammen mit zwei Entscheidungen zu Volksinitiativen statt. Voraussichtlich wird die Covid-19-Entscheidung im Zentrum stehen. Dafür spricht die Grosswetterlage und die Erwartungshaltung, es werde knapp.
Bund und Kantone treten gemeinsam für das Covid-19-Gesetz auf. Parolen der Parteien liegen erst beschränkt vor: Dafür sind Die Mitte, die GPS, die FDP und die EVP. Erwartet wird zudem ein Ja von der SP. Dagegen spricht sich bis jetzt nur die SVP aus. Erwartet wird eine Polarisierung im Schnittfeld von ökonomischer und kultureller Konfliktlinien.
Die ablehnende Position der SVP überraschte, da sie im Parlament noch mehrheitlich dafür gestimmt hatte. Die Ablehnung wird als Teil der Profilierung der Partei bei den neuen oppositionellen Strömungen gesehen.
Der Abstimmungskampf ist schon voll im Gang. Er kann nicht säuberlich von der allgemeinen Kontroverse um das Covid-19-Regime getrennt werden.
In Fahrt gekommen ist vor allem die ausserparlamentarische Opposition. Bisweilen treten da aber Spaltungstendenz auf, namentlich im Umgang mit unbewilligten Demonstrationen. Die Stimmung ist angeheizt, insbesondere durch die regelmässigen Demonstrationen, die teilweise auch gewalttätig sind. Zudem ist rund um Bundesrat Ueli Maurer eine Kontroverse entstanden, da er auf einem Bild mit Opponent:innen sympathisierte.
Auf der Ja-Seite hat die Mitte ein Ja-Komitee mit Vertretungen aller Parteien gegründet. Hingewiesen wird darauf, die Kommunikation sei schwierig, da man mit sachlichen Argumenten gegen Emotionen kämpfe. Zudem seien die finanziellen Mittel zugunsten der Gegner:innenschaft verteilt.
Zwischenbilanz
Analysen des politischen Konflikts im Parlament sind hier nur beschränkt brauchbar. Denn es geht zusätzlich um eine Mobilisierung ausserhalb der etablierten Kräfte im Parlament. Übersichten dazu zeigen, dass diese punktuell mehrheitsfähig sind. Dazu braucht es ein Kippen von Teilen der institutionellen Kräfte, beispielsweise von Kantonalparteien der FDP oder einzelner Parlamentarier:innen aus dieser oder anderer Parteien.
Moment erscheint es am wahrscheinlichsten, dass die Opposition bei der zweiten Abstimmung stärker sein wird als bei der ersten. Ob es auch für eine Ablehnung reicht, muss aber offenbleiben.