Chef will UN-Palästinenser-Hilfswerk «nicht verlassen»
UNRWA-Chef Philippe Lazzarini wehrt sich gegen die Vorwürfe gegen das Hilfswerk: Er habe davon aus den Medien erfahren – an einen Rücktritt denkt er nicht.
Das Wichtigste in Kürze
- Gemäss israelischen Angaben befindet sich ein Hamas-Tunnel unter dem UNRWA-Hauptquartier.
- Das Hilfswerk gerät wegen mangelnder Distanz zur Terrororganisation zunehmend unter Druck.
- Philippe Lazzarini will dennoch weitermachen: Das Schiff zu verlassen, wäre unvernünftig.
Das Palästinenserhilfswerk der Vereinten Nationen (UNRWA) gerät zunehmend in Bredouille: Nach dem palästinensischen Überfall auf Israel am 7. Oktober jubeln zahlreiche ihrer Angestellten in den sozialen Medien.
Später enthüllt Israel die enge Verflechtung zwischen Hamas und UNRWA – 12 Angestellte sollen sogar selbst am Hamas-Massaker teilgenommen haben.
Jetzt sorgen Enthüllungen vonseiten der israelischen Streitkräfte für den nächsten Eklat: Unter dem UNRWA-Hauptquartier befindet sich ein Hamas-Tunnel – eine Einrichtung des Militärgeheimdienstes der Hamas.
UNRWA-Chef Lazzarini: «Wäre nicht vernünftig, das Schiff zu verlassen»
Trotz der heftigen Vorwürfe gegen das Palästinenserhilfswerk denkt Generalkommissar Philippe Lazzarini nicht an einen Rücktritt, wie er im «NZZ»-Interview erklärt: «Wir befinden uns heute in einer existenziellen Krise. Ich glaube nicht, dass es vernünftig wäre, das Schiff zu einem solchen Zeitpunkt zu verlassen.»
Der Genfer wehrt sich gegen die Anschuldigungen gegen «sein» Hilfswerk – er habe von dem Tunnel aus den Medien erfahren: «In den letzten zwei oder drei Jahren gab es auch auf der Stromrechnung nichts Verdächtiges.»
Hamas-Tunnel unter UNRWA-Einrichtungen kein Einzelfall
Im selben Atemzug räumt der schweizerisch-italienische Doppelbürger ein, dass es sich bei dem Tunnel keineswegs um einen Einzelfall handle. In der Vergangenheit habe man bei Inspektionen der UNRWA-Einrichtungen mehrmals ähnliche Tunnels entdeckt: «Wir haben bei der Hamas Protest eingelegt und die israelische Armee informiert.»
Die 12 angeblichen Hamas-Kämpfer in den Reihen seiner Angestellten habe er postwendend freigestellt, erklärt Lazzarini: «Ich war der Meinung, dass die Vorwürfe so schwerwiegend und schockierend sind, dass sie ein schnelles und sofortiges Handeln erfordern.»
Nähe zur Hamas schon lange ein Thema
Der Vorwurf, dass UNRWA-Mitarbeiter mit der Hamas kooperieren und Antisemitismus verbreiten, kursiert schon lange. Der Frage, ob Lazzarini sein Personal in genügendem Ausmass kontrolliere, weicht der Diplomat allerdings aus: «Wird Ihr Privatleben von der ‹NZZ› überwacht?»
Die UNRWA untersuche Mitarbeitende immer dann, wenn glaubhafte Anschuldigungen vorlägen. «Seit ich bei der UNRWA bin, haben wir mehr als fünfzig Untersuchungen durchgeführt.» Dieses Mal wird überdies eine unabhängige Expertengruppe die schweren Vorwürfe prüfen.
Dass zahlreiche Länder ihre Geldzahlungen an die UNRWA angesichts der Vorwürfe bereits eingestellt haben, beunruhigt Lazzarini. Gleichzeitig zeigt er sich gegenüber der «NZZ» zuversichtlich, dass auch diese Spender die Organisation zeitnah wieder unterstützen würden: «Sie sind sich bewusst, welche Katastrophe es wäre, wenn die UNRWA ihr Mandat nicht mehr erfüllen könnte.»