Einen Tag nach der Freilassung des Enthüllungsjournalisten Iwan Golunow hat die Polizei bei einem Protestmarsch in Moskau hart durchgegriffen.
Festnahme von Alexej Nawalny in Moskau
Festnahme von Alexej Nawalny in Moskau - AFP

Das Wichtigste in Kürze

  • Auch Kreml-Gegner Nawalny und mehrere Journalisten in Gewahrsam genommen.
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Mehr als 400 Demonstranten wurden nach Angaben der Nichtregierungsorganisation OWD-Info festgenommen, unter ihnen der russische Oppositionsführer Alexej Nawalny und mehrere Journalisten. Die Teilnehmer der Kundgebung riefen Slogans wie «Schande!» und «Stoppt Polizeiterror!».

Mindestens 423 Teilnehmer des nicht genehmigten Protestzuges wurden laut OWD-Info festgenommen, darunter mehrere Journalisten und die Organisatoren der Kundgebung. Die Demonstration war ursprünglich als Solidaritätsveranstaltung für den regierungskritischen Journalisten Golunow geplant, der in der vergangenen Woche wegen angeblichen Drogenhandels festgenommen und unter Hausarrest gestellt worden war, ehe das Verfahren am Dienstag überraschend eingestellt wurde. Beobachter werteten Golunows Freilassung als Versuch, eine seit seiner Festnahme laufende beispielsweise Protestwelle zu beenden.

Vor der Einstellung der Ermittlungen gegen Golunow hatten mehr als 25.000 Menschen auf Facebook angekündigt, sich an der Solidaritätskundgebung zu beteiligen, die sich auch gegen Polizeiwillkür im Allgemeinen richtete. Letztlich gingen gut tausend Demonstranten auf die Strasse, wie AFP-Reporter berichteten.

Der Protestmarsch fand am russischen Nationalfeiertag statt. Während Demonstranten in Polizeiwagen gezogen wurden, rief die Menge: «Schande, am Russland-Tag! Habt ihr die Verfassung vergessen?» Ein festgenommener Demonstrant zeigte aus dem Fenster eines Polizeiautos ein Plakat mit der Aufschrift «Ich bin Iwan Golunow». Auch ein «Spiegel»-Mitarbeiter wurde nach Angaben des Nachrichtenmagazins vorübergehend festgehalten, obwohl er sich als Journalist ausgewiesen habe. Mehrere Festgenommene gaben an, von Polizisten verprügelt worden zu sein.

Amnesty International verlangte die sofortige Freilassung aller Demonstranten. Die Menschenrechtsorganisation verurteilte die «willkürlichen und oft brutalen Festnahmen», die Ausdruck «der Verachtung der Behörden für Solidarität und Rechte» seien. Der Europarat rief die russische Regierung auf, die Versammlungsfreiheit zu achten.

Die Führung in Moskau habe «furchtbare Angst» vor der «fantastischen Solidarität» im Fall Golunow, erklärte Oppositionsführer Nawalny. Daher zielten sie darauf ab, «zuerst die allgemeine Solidarität zu zerstören» und dann alle jene «einzuschüchtern und festzunehmen», die nicht nachgäben.

Vorgehensweisen der Polizei wie im Fall Golunow seien «im ganzen Land an der Tagesordnung», beklagte Jegor, ein 15-jähriger Teilnehmer der Kundgebung. Gefälschte Darstellungen über Drogenbesitz von missliebigen Bürgern kursierten überall. Es gebe «viel Ungerechtigkeit», beklagte die 83-jährige Ex-Ingenieurin Ljudmila.

In St. Petersburg gab es ebenfalls eine Protestkundgebung mit rund hundert Teilnehmern. Sie forderten unter anderem die Freilassung des inhaftierten Historikers Juri Dmitrijew. «Wir sollten den Fall Golunow nutzen, um auf andere aufmerksam zu machen», forderte der Abgeordnete Maksim Resnik.

Die Festnahme des Investigativ-Journalisten Golunow hatte eine Welle des Protests in der russischen Bevölkerung ausgelöst. Zahlreiche russische Kollegen Golunows und internationale Organisationen verurteilten das Vorgehen der Behörden. Drei grosse russische Tageszeitungen waren am Montag mit der Schlagzeile «Ich bin Iwan Golunow» auf der Titelseite erschienen.

Golunow, der für das unabhängige Investigativ-Portal «Medusa» arbeitet, war am Donnerstag vergangener Woche festgenommen worden. Am Samstag ordnete ein Haftrichter zwei Monate Hausarrest an. Golunow bestritt die Vorwürfe. Die Drogen seien ihm untergeschoben worden. Der 36-Jährige gab zudem an, im Polizeigewahrsam gefoltert worden zu sein.

Am Dienstag teilte Innenminister Wladimir Kolokolzew überraschend mit, die Ermittlungen würden eingestellt und der Hausarrest aufgehoben. Ein derartiges Einlenken gegenüber öffentlichen Protesten kam in den vergangenen Jahren in Russland nur selten vor.

Nach Einschätzung von Kritikern folgte der Fall einem bekannten Muster, wonach Drogen-Vorwürfe konstruiert werden, um Menschenrechtsvertreter und kritische Journalisten in Russland mundtot zu machen. Dass solche Ermittlungen wieder fallengelassen werden, ist äusserst ungewöhnlich.

Während seiner zwei Jahrzehnte an der Macht hat der russische Präsident Wladimir Putin die meisten seiner Kritiker zum Schweigen gebracht. Er versuchte zudem, die Presse mundtot zu machen. Die wenigen kritischen und unabhängigen Medien, die noch in Russland aktiv sind, stehen laut Kreml-Kritikern unter grossem Druck.

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