«Adieu Weltmeisterschaft»: Leclerc im Titelkampf unter Druck
Nach dem bitteren Ausfall-Desaster von Charles Leclerc schaltete Ferrari schnell in den Angriffsmodus. «Es gibt keinen Grund, warum wir nicht die letzten zehn Rennen gewinnen sollten. Ich bin sehr positiv, weil das Paket passt», sagte Mattia Binotto, Teamchef der Scuderia.
Starfahrer Leclerc verlor durch seinen Patzer am Sonntag im französischen Le Castellet 25 wichtige Punkte in der Gesamtwertung auf Formel-1-Weltmeister Max Verstappen, der nach zwölf von 22 Rennen nun schon satte 63 Zähler Vorsprung hat.
Ferrari macht sich das Leben unnötig schwer
War das schon eine Vorentscheidung im Titelkampf? «Adieu Grosser Preis von Frankreich und vielleicht auch Weltmeisterschaft», schrieb die italienische Tageszeitung «La Repubblica». Dafür ist es sicher noch etwas zu früh, doch der Schweizer «Blick» brachte das Problem auf den Punkt: «So hat Weltmeister Max Verstappen leichtes Spiel, 2022 den zweiten WM-Titel einzufahren.» Während der Niederländer Fehler der Konkurrenz eiskalt ausnutzt, macht sich Ferrari das Leben unnötig schwer. Entweder durch technische Probleme oder durch Fahrfehler wie am Sonntag von Herausforderer Leclerc, der in Führung liegend abflog.
Der 24-Jährige aus Monaco verkrafte den Druck nicht gut, urteilte Ex-Weltmeister Jacques Villeneuve in einer Kolumne für «Formule1.nl» und schrieb weiter, dass der Umgang mit kniffligen Situationen «der grosse Unterschied zu Verstappen» sei: «Wir haben eine Meisterschaft mit zwei relativ gleich starken Autos. Aber eines hat einen grossen Vorsprung.» Auch der deutsche Ex-Champion Nico Rosberg befand bei Sky, dass Leclerc sich solche Fehler «nicht erlauben» dürfe.
«Potenzial für Titelkampf»
Auch wenn die Gründe unterschiedlich sind, war es in Le Castellet bereits Leclercs dritter Ausfall in dieser Saison. «Das Ferrari-Auto ist das stärkere, deswegen ist es noch nicht zu Ende», sagte Rosberg trotzdem zum Titelduell. Davon ist der italienische Rennstall auch selbst überzeugt. «Wir haben das Potenzial», sagte Binotto, der keinen Grund für Kritik an seinem Piloten sah: «Ja, es war ein Fehler von Charles, das kann passieren. Aber er ist ein toller Fahrer.»
Auch Teamkollege Carlos Sainz, Sieger zuletzt in Grossbritannien, sprang Leclerc zur Seite. «Was ihm passiert ist, kann jedem passieren, auch mir oder Max, weil wir immer am Limit fahren und Druck machen. Ich bin mir sicher, er wird sich davon erholen», sagte der Spanier. Schon am Sonntag hat Leclerc beim Grossen Preis von Ungarn in Budapest die Chance, es besser zu machen. Im letzten Rennen vor der gut dreiwöchigen Sommerpause geht es darum, näher an Verstappen heranzukommen. «Ich habe Charles und Carlos schon gesagt, wir haben neue Ziele, nämlich einen Doppelerfolg», sagte Binotto.
Erinnerungen an das Rennjahr 2018
Mit den Kampfansagen vor allem an Red Bull versuchen die Italiener von den eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken. Dabei erinnert vieles auch an das Jahr 2018, als Sebastian Vettel im Ferrari beste Chancen auf den Titel hatte. Im Kampf mit Mercedes verfügte die Scuderia damals lang über das bessere Auto, konnte das durch Unfälle, Ausritte und sonstiger Fehler aber auch nicht nutzen. «Mein grösster Feind bin ich selbst», sagt Vettel damals über sich. Den Titel musste er Lewis Hamilton überlassen und liess seine beste Chance im roten Renner aus.
«Es ist nicht einfach, dieses Tempo und diese Leistung zu haben und damit umzugehen. Es ist ein harter Job und ich fühle mit dem ganzen Team», sagte Hamilton am Sonntag zur Situation bei Ferrari. Er selbst weiss als siebenmaligen Weltmeister am besten um die Probleme.
Mal waren es ganz offensichtliche Fehler, mal einfach nur Pech - 2018 und 2022 ähneln sich für Ferrari. Damals arbeiteten die Silberpfeile zielstrebiger und konzentrierter, nun könnte sich die Geschichte mit Red Bull wiederholen. Seit dem Triumph von Kimi Räikkönen 2007 wartet Ferrari auf einen Formel-1-Weltmeister. Die Ex-Champions Fernando Alonso und Vettel scheiterten beim Versuch, dem Team den alten Schumi-Ruhm zurückzubringen. Leclerc, der seinen Fehler in Frankreich schnell einräumte, ist nun mehr denn je gefordert. «Das ist inakzeptabel und ich muss das in den Griff bekommen», sagte er.