EU-Kommission: Polens Justizsystem-Änderungen unzureichend
Das Wichtigste in Kürze
- Die EU-Kommission hält die jüngsten Änderungen am polnischen Justizsystem für unzureichend, um Zweifel an der Einhaltung rechtsstaatlicher Standards auszuräumen.
Die Auszahlung von Mitteln aus dem milliardenschweren EU-Topf zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise dürfte sich damit weiter verzögern.
In einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof machte die Brüsseler Behörde nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur aus Luxemburg deutlich, dass strittige Bestimmungen aus ihrer Sicht nach einer ersten Analyse nicht aufgehoben wurden. Insbesondere wurde demnach die ausschliessliche Zuständigkeit der «Kammer für Ausserordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten» des Obersten Gerichtshofs für Fragen der Unabhängigkeit der Richter nicht aufgehoben.
Auch wurde festgestellt, dass das neue Gesetz die suspendierten Richter nicht sofort wieder einsetzt, sondern nur ein Überprüfungsverfahren vorsieht. Solche Fälle sollten nach den Vorstellungen der EU-Kommission eigentlich von einem unabhängigen Gericht innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist geprüft werden.
Es geht um viel Geld
Relevant ist die Analyse der Behörde vor allem deshalb, weil die Regierung in Warschau zuletzt gehofft hatte, Zugriff auf Gelder von bis zu 35 Milliarden Euro zu bekommen, nachdem ein neues «Gesetz über den Obersten Gerichtshof» verabschiedet wurde.
Die EU-Kommission blockiert seit Monaten die Freigabe der Mittel, weil sie eklatante Mängel im polnischen Justizsystem sieht. Zuletzt wurde allerdings mit der Regierung in Polen eine Einigung über Voraussetzungen zur Auszahlung der Mittel erzielt. Warschau ging dabei davon aus, dass mit dem neuen Gesetz die Voraussetzungen erfüllt werden.
Polen hatte seinen Aufbauplan bereits im Mai 2021 eingereicht. Um Geld aus der sogenannten Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF) zu erhalten, müssen Mitgliedstaaten einen Plan mit Investitions- und Reformvorhaben vorlegen, der eigentlich innerhalb von zwei Monaten von der Kommission beurteilt werden sollte. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen forderte jedoch, dass Polen entscheidende Justiz-Reformen zurücknimmt, um die Unabhängigkeit der Richter wieder herzustellen.
Polen verstösst gegen europäisches Recht
Einer der Knackpunkte war die Disziplinarkammer, die jeden Richter und Staatsanwalt bestrafen und entlassen konnte. Davon hat Polen sich Mitte Juni verabschiedet. Die 2018 eingeführte Kammer am Obersten Gerichtshof war ein Herzstück der Justizreform der nationalkonservativen PiS-Regierung. Im Juli vergangenen Jahres hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Polen damit gegen europäisches Recht verstösst. Am Dienstag ging es in einer mündlichen Verhandlung vor dem EuGH nach einer Klage der EU-Kommission erneut unter anderem um die Kammer.
Die Disziplinarkammer wird nun durch eine neue «Kammer für berufliche Verantwortung» ersetzt. Richter, die bisher in der Disziplinarkammer tätig waren, werden in andere Positionen am Obersten Gerichtshof versetzt oder können in den Ruhestand wechseln. Unter allen Richtern des Obersten Gerichtshofs, mit Ausnahme der Präsidenten der Kammern des Obersten Gerichtshofs, werden 33 Personen ausgelost, von denen der Staatspräsident 11 Richter für die Zusammensetzung der neuen «Kammer für berufliche Verantwortung» für eine Amtszeit von fünf Jahren auswählen soll.
Die Einigung auf den polnischen Aufbauplan von Anfang Juni sieht vor, dass Polen nur dann Geld erhält, wenn es verschiedene Zwischenziele umsetzt. «Erst müssen die Meilensteine erreicht werden, dann folgt die Auszahlung der Gelder», sagte von der Leyen. Neben der Abschaffung der Disziplinarkammer sieht der polnische Corona-Aufbauplan vor, dass Richter nicht mehr disziplinarisch belangt werden dürfen, wenn sie den Europäischen Gerichtshof um Auslegung von EU-Recht bitten. Zudem müssen Richter, die bereits von Entscheidungen der Disziplinarkammer betroffen sind, diese Entscheidungen von einem unabhängigen Gericht überprüfen lassen dürfen.