Verdi-Streiks bei Amazon bleiben umstritten
Nach zehn Jahren Streik hat Verdi bei Amazon immer noch keinen Tarifvertrag durchgesetzt. Während das Unternehmen jegliche Wirkung der Aktionen bestreitet, sieht die Gewerkschaft keinen Grund aufzugeben.
Das Wichtigste in Kürze
- An diesem Sonntag wollten sich Verdi-Gewerkschafter und Amazon-Beschäftigte in der Hersfelder Stadthalle zu einer Feier aus unüblichem Anlass treffen.
Zehn Jahre Streiks bei Amazon ohne zählbares Ergebnis – was sollte es da zu feiern geben?
Der seit 1999 in Deutschland präsente Versand- und Onlineriese aus den USA hat bislang jedem gewerkschaftlichen Angriff widerstanden, jegliche Auswirkungen auf seine Geschäftstätigkeit bestritten und ein märchenhaftes Wachstum hingelegt – zuletzt angefeuert vom Online-Boom während der Corona-Pandemie. Die Feier wurde kurzfristig abgesagt, wegen des Warnstreiks bei Bahn, die für viele Teilnehmer sehr lange Anfahrtszeiten bedeutet hätte.
Von Beginn an forderte die für den Handel zuständige Gewerkschaft Verdi von dem US-Unternehmen, die geltenden Flächentarifverträge für den Einzel- und Versandhandel anzuerkennen. Zu ersten Streiks mit rund 1700 Teilnehmern kam es am 14. Mai 2013 in den Logistikzentren Leipzig und Bad Hersfeld, Dutzende Streikwellen folgten seitdem – gerne zu Weihnachten oder anderen umsatzstarken Terminen. Unter dem Motto «Make Amazon Pay» beteiligten sich im November 2022 erstmals zeitgleich auch Gewerkschaften in Frankreich und den USA an Streiks.
«Es geht um Würde und Respekt»
Verdi-Vorständin Stefanie Nutzenberger wirft Amazon vor, sich auf dem Rücken der Beschäftigten Wettbewerbsvorteile zu verschaffen und dadurch den Verdrängungswettbewerb im Handel zu beschleunigen. Nur Tarifverträge schützten Beschäftigte vor Unternehmenswillkür und seien ein Zeichen von Anerkennung der harten Arbeit, sagte sie am Freitag laut einer Mitteilung in Berlin. «Es geht um Würde und Respekt.»
Die Verdi-Koordinatorin Monika Di Silvestre ist überzeugt, dass der Dauer-Arbeitskampf Wirkung zeigt: «Amazon sind unsere Aktionen nicht egal, denn sie versuchen immer zu intervenieren. Und es hat auch ökonomische Wirkungen, wenn sie Leistungen beispielsweise nach Polen verschieben müssen. Zudem stellt das Unternehmen gezielt Aushilfen ein für streikgefährdete Zeiträume beispielsweise rund um den sogenannten Black Friday. Auch das kostet.»
Lohnverhandlungen sind nicht vorgesehen
Das Unternehmen sieht hingegen keinen Grund, den Streikenden nachzugeben. Ohnehin rechnet man sich eher der Logistikbranche und nicht dem Handel zu. Amazon zahlt seinen inzwischen mehr als 36 000 Beschäftigten in Deutschland vom ersten Tag an mindestens 13 Euro Stundenlohn mit automatischen Steigerungen nach einem und zwei Jahren, schreibt Country-Manager Rocco Bräuniger in seinem Blog. Dazu komme ein «grosses Paket an Extras», das seit Mai auch das volle Deutschlandticket im Wert von 49 Euro enthält. Lohnverhandlungen sind allerdings nicht vorgesehen: «Jährlich überprüfen wir unsere Löhne, um sicherzustellen, dass wir unseren Mitarbeitenden ein attraktives Angebot machen.»
Amazon-Regionaldirektor Norbert Brandau sagt dazu: «Amazon zeigt jeden Tag, dass es möglich ist, auch ohne Tarifvertrag ein guter Arbeitgeber zu sein. Daran arbeiten wir jeden Tag gemeinsam mit Betriebsräten und Mitarbeitern. Wir bieten gute Bezahlung, Sozialleistungen und Entwicklungsmöglichkeiten – und das alles in einem attraktiven und sicheren Arbeitsumfeld.»
Auswirkungen der Streikaufrufe für die Kunden und Kundinnen bestreitet das Unternehmen regelmässig. Die Gewerkschaft rufe zwar an der Hälfte der 20 Logistikzentren in Deutschland zum Streik auf. Gemessen an der Gesamtbelegschaft habe sich die prozentuale Streikbeteiligung über die Jahre aber halbiert. Verteilzentren und Sortierzentren von Amazon seien noch nie bestreikt worden.
Die Gewerkschaften fordern einen kollektiven Vertrag
Die Gewerkschaft sieht sich hingegen immer noch auf dem richtigen Weg: «Im vergangenen November haben wir zehn Standorte gleichzeitig zum Streik aufrufen können, und wir arbeiten daran, diese Zahl noch zu erweitern. In jedem Betrieb gehen dann jeweils zwischen 300 und 1000 Beschäftigte in den Ausstand», sagt Di Silvestre. Bei jedem Streik träten neue Kolleginnen und Kollegen ein, weil sie die Notwendigkeit eines kollektiven Vertrags eingesehen hätten. «Sonst ist das doch nur kollektives Betteln.»
Mitzumachen erfordere viel Mut – vor allem, wenn man die unterschiedlichen Hintergründe der Menschen berücksichtige, meint die Gewerkschafterin. In manchen Herkunftsländern würden Streikende ins Gefängnis geworfen, es gebe Sprachbarrieren oder auch die Angst um den Job, wenn man vorher lange arbeitslos war. «Aber das ist kein Grund, seine Arbeit um jeden Preis anzubieten.» Aufgeben gilt nicht, sagt Di Silvestre. «Wie lange der Kampf noch dauern wird, kann ich nicht sagen. Wir machen das so lange, wie es dauert.»