Von Mode und Widerstand: «Miss Dior»
Das Wichtigste in Kürze
- Christian Dior ist eine Legende.
Nach düsteren Kriegsjahren revolutionierte er die Mode mit seinem New Look, der ganz auf Luxus, Opulenz und Lebensfreude setzte. Die glitzernde Welt der Haute Couture war sein Zuhause.
Prinzessinnen, Filmstars und Industriellengattinnen rissen sich um seine Entwürfe. Bis heute steht der Name Dior für Eleganz und Pariser Chic. Neben Abendroben, Cocktailkleidern und Kostümen kreierte der Modeschöpfer auch ein Parfüm mit Rosenduft, dem er den Namen «Miss Dior» gab.
Was kaum einer weiss: Dieses Parfüm war seiner Lieblingsschwester Catherine (1917-2008) gewidmet, die ein ebenso heroisches wie grausames Schicksal hatte. Während der deutschen Besatzungszeit, als ihr Bruder seine ersten Kreationen präsentierte, schloss sich Catherine Dior der Résistance an. Sie wurde von der Gestapo verhaftet und in das KZ Ravensbrück verschleppt. Wie durch ein Wunder überlebte sie diese Tortur, über die sie später kaum ein Wort mehr verlor. Auch ihr berühmter Bruder sprach die Vergangenheit nicht an.
Akribisch recherchiertes Sachbuch
So blieb ihre tragische Geschichte grösstenteils verborgen, bis die Journalistin Justine Picardie auf ihren Namen stiess. Ihr ursprüngliches Projekt, eine weitere Biografie über Christian Dior zu schreiben, liess sie zugunsten von «Miss Dior» fallen. Entstanden ist so ein akribisch recherchiertes, aber mit feuilletonistischer Eleganz verfasstes Sachbuch, das den eigentlich fast unmöglichen Spagat zwischen Haute Couture und Pariser Gesellschaftsleben sowie Gestapo und Konzentrationslager eindrucksvoll bewältigt.
Die Leser begleiten die Autorin hautnah bei ihren aufwendigen Recherchereisen durch Frankreich und Deutschland zu verschwiegenen Landsitzen und eleganten Modesalons, aber auch zu bedrückenden Gedenkstätten und historischen Archiven.
Kaum etwas hinterlassen
Von Beginn an gab es ein grosses Problem für die Autorin: Catherine Dior, eine willensstarke und couragierte, aber auch sehr bescheidene und zurückhaltende Person, hat kaum etwas über ihr Leben hinterlassen. Die Autorin musste sich deshalb alles indirekt erschliessen, etwa über Berichte von Zeitzeugen, die wie Catherine in Pariser Gestapohaft oder im KZ Ravensbrück sassen.
Auf die Weise ist über die Einzelbiografie hinaus ein dichtes Panorama der Besatzungszeit entstanden. Catherine Dior war zunächst Verkäuferin in einem Modegeschäft. Kontakt zum Widerstand bekam sie über ihren Geliebten Hervé des Charbonneries, einen frühen Aktivisten der Résistance. Er warb Catherine für die Organisation F2 an, die für den britischen Geheimdienst arbeitete. Als Agentin «Caro» hatte sie den Auftrag, Informationen über die Bewegungen deutscher Truppen zu sammeln und weiterzugeben.
Diese Undercover-Tätigkeit war extrem gefährlich. Von den ca. 2000 Agenten und Agentinnen wurden 900 im Laufe der Zeit verhaftet, deportiert und getötet. Am 6. Juli 1944 ging auch Catherine Dior ihren Häschern ins Netz. Sie wurde in ein Pariser Gestapo-Gefängnis gebracht, wo sie die Folter geradezu heldenhaft überstand: «Ich tischte ihnen so viele Lügen auf, wie ich nur konnte.» Wenig später - die Deutschen waren schon auf dem Rückzug - wurde sie mit einem der letzten französischen Transporte ins Frauen-KZ Ravensbrück gebracht. Weitere Lager folgten.
Frau von erstaunlicher Widerstandskraft
Diese grausamen Monate beschreibt Picardie anhand der Erinnerungen anderer inhaftierter Leidensgenossinnen aus der Résistance. Als Catherine Dior Ende Mai 1945 nach Paris zurückkam und ihr Bruder sie überglücklich am Bahnhof in Empfang nahm, erkannte er sie kaum wieder, so ausgezehrt sei sie gewesen.
Und doch erwies sie sich als eine Frau von erstaunlicher Widerstandskraft. Sie sollte ihren früh verstorbenen Bruder um mehr als ein halbes Jahrhundert überleben und wurde mit zahlreichen Orden für ihre Tapferkeit im Widerstand geehrt.
Ihr zweites Leben verbrachte sie als Rosenzüchterin auf ihrem Landsitz in Südfrankreich - mehr Schönheit, Frieden und Harmonie geht eigentlich nicht. Justine Picardies Buch ist nicht nur ein eindrucksvolles historisches Dokument, sondern auch eine wunderschöne Hommage an eine ungewöhnliche Geschwisterliebe in katastrophalen Zeiten. Denn so unterschiedlich sie auch in Naturell und Lebensstil waren, so sehr blieben Christian und Catherine einander die wichtigsten Menschen.