Bigler: «AHV-Abstimmungsbeschwerde ist grüne Schaumschlägerei!»
Die Behauptung der Grünen-Präsidentin, den Frauen sei ein Jahr Rente gestohlen worden, ist ungeheuerlich, findet Kolumnist Hans-Ulrich Bigler.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Ausgaben für die AHV fallen viel tiefer aus als bisher angenommen.
- Laut dem Bund hat man die Kosten für 2033 um rund sechs Prozent nach unten korrigiert.
- Die Forderung nach einer Wiederholung der Abstimmung zum Frauen-Rentenalter wird laut.
Ja, es ist eine Peinlichkeit erster Güte, dass sich das Bundesamt für Sozialversicherungen in seinen Prognosen um ganze vier Milliarden verrechnet hat. Doch davon und vom resultierenden Verlust an Glaubwürdigkeit soll in dieser Kolumne nicht die Rede sein.
Interessant ist vielmehr die Frage, wer daraus welches politische Kapital schlagen will. Und damit kommen wir auf direktem Weg zur grünen Schaumschlägerei. «Es geht schliesslich um die Verteidigung der Demokratie», liess sich die Präsidentin der Grünen umgehend in der Öffentlichkeit verlauten.
Flugs reichte sie eine Beschwerde gegen das Abstimmungsresultat der AHV-Reform 2022 ein. Welch hehrer Gedanke. Eine Jeanne d`Arc schweizerischer Prägung, die sich selbstlos für Demokratiepolitik einsetzt. Doch bei näherem Hinschauen vermag es einem ob dieser Dreistigkeit beinahe die Sprache verschlagen.
Ein Ja ist ein Ja
Es ist ein Fakt. Diese Abstimmung wurde im Vorfeld heiss und kontrovers diskutiert. Das Resultat fiel mit 50.55 % Ja-Stimmen knapp aus. Aber am Resultat gibt es eben nichts herumzudeuteln. Ein Ja ist ein Ja und wird in aller Regel von Politik und Bevölkerung demokratiepolitisch akzeptiert. Ungeachtet der Tatsache, ob man damit glücklich ist oder nicht.
Doch bereits diese Haltung wurde am Tag nach dem Abstimmungssonntag mit Füssen getreten. Auf dem Bundesplatz versammelten sich linke Politikerinnen, die angesichts ihrer Niederlage in Wutreden ihrem Zorn Ausdruck gaben und den Volkswillen am liebsten annullieren wollten. Von «Verteidigung der Demokratie» konnte bereits da keine Rede sein.
Von Diebstahl kann keine Rede sein
Ebenso ungeheuerlich ist die Behauptung der Grünen-Präsidentin, den Frauen sei ein Jahr Rente gestohlen worden. Dies ist schlicht Fake-News. Allen AHV-Berechtigten wurden weiterhin die Renten gemäss ihrem gesetzlichen Rentenanspruch ausbezahlt, ungeachtet ob Frau oder Mann. Von einem Diebstahl kann also keine Rede sein.
Sodann wird mit keinem Wort erwähnt, dass die AHV-Reform 2022 damals in zwei Vorlagen aufgeteilt war. Zum einen ging es um die Angleichung des Rentenalters auf 65 Jahre für Frauen und Männer.
Zum anderen wurde parallel über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0.4 % zwecks zusätzlicher Finanzierung der Reform abgestimmt. Diese wurde deutlich angenommen und per Anfang Jahr bereits umgesetzt.
Wer also ultimativ eine Weiderholung der Abstimmung zur Angleichung des Rentenalters für Frauen und Männer auf 65 fordert, muss ebenso eine unmissverständliche Antwort auf den Umgang mit dieser Frage geben. Soll auch diese Abstimmung wiederholt werden? Soll die Erhöhung der Mehrwertsteuer sistiert werden und vom Bund bereits eingenommenen Zahlungen zurückbezahlt werden? Doch dazu vernimmt man nichts als ohrenbetäubendes Schweigen.
Damit zeigt sich auch, dass das Argument, wonach die Stimmbevölkerung getäuscht wurde, auf tönernen Füssen steht. Zunächst kann die eine Vorlage nicht einfach von der anderen losgelöst werden. Sodann hat der Bund in seinem Abstimmungsbüchlein nicht mit den BSV-Prognosen für ein Ja geworben, die sich nun als fehlerhaft herausgestellt haben.
AHV in Schieflage
Die grüne Politik ist aber auch aus einem anderen, wenn nicht sogar dem wichtigsten Grund unverantwortlich. Tatsache ist nämlich, dass die AHV langfristig aufgrund der demografischen Entwicklung unverändert in Schieflage ist.
Zwar steigen die Ausgaben weniger stark an als bisher prognostiziert. Dessen ungeachtet nehmen aber die Finanzierungslücken für die AHV-Renten unverändert Jahr für Jahr zu. Anders gesagt verlangsamt sich der Sanierungsbedarf für das wichtigste Sozialwerk unseres Landes etwas. Der Reformdruck bleibt aber unverändert hoch.
Gefährliche Augenwischerei
Das Gesetz schreibt vor, dass die AHV-Ausgaben nicht unter 100 Prozent der Einnahmen sinken dürfen. Geschieht nichts, schmelzen die Reserven im AHV-Fonds weg wie die Gletscher im Klimawandel.
Es ist deshalb eine gefährliche Augenwischerei vor diesem Hintergrund der Öffentlichkeit vorgaukeln zu wollen, es bestünde kein Handlungsbedarf. Um die bestehenden Defizite der Zukunft aufzufangen, führt nichts an einer weiteren Reform vorbei.
Diese Frage ist denn auch im Departement von BR Baume-Schneider für 2026 traktandiert. Und mit Bestimmtheit lässt sich heute schon sagen, dass zu diesem Zeitpunkt angesichts der steigenden Lebenserwartung ebenso wieder über eine Erhöhung des Rentenalters diskutiert werden muss.
Abstimmungsniederlage noch unverdaut
Damit zeigt sich eines: Die eingereichte Abstimmungsbeschwerde kann als nichts anderes als grüne Schaumschlägerei bezeichnet werden. Offenbar scheint den Grünen jedes Mittel recht, um auf sich aufmerksam zu machen. Koste es, was es wolle.
Wie es aussieht, ist nicht nur die Abstimmungsniederlage zur AHV-Reform nach wie vor unverdaut. Ebenso leckt sich die Partei offensichtlich ihre Wunden nach dem massiven Rückschlag in den eidgenössischen Wahlen vom letzten Jahr.
Ob allerdings der eingeschlagene Weg zu einer Zunahme der Beliebtheit bei den Wählern führen wird, muss sich erst noch weisen.
Zur Person: Hans-Ulrich Bigler ist Ökonom und war von 2008 bis 2023 Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV). Er ist im Vorstand mehrerer Verbände, darunter auch das Nuklearforum Schweiz, und sass von 2015 bis 2019 für die FDP im Nationalrat. Heute ist Bigler SVP-Mitglied.