Daniel Koch: Deshalb explodieren unsere Gesundheitskosten!
Hauptgrund für die hohen Krankenkassenprämien ist nicht die Alterung der Bevölkerung – sondern das Finanzierungssystem, meint Nau.ch-Kolumnist Daniel Koch.
Das Wichtigste in Kürze
- In seiner Kolumne erklärt Daniel Koch, wieso die Gesundheitskosten so rasant steigen.
- Das Krankenkassensystem sollte dem Geist des Unfallversicherungssystems angepasst werden.
- Daniel Koch war bis 2020 Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten beim BAG.
Wieder einmal stehen die steigenden Gesundheitskosten und die Belastung der Privathaushalte durch die hohen Krankenkassenprämien im Fokus eines Abstimmungswochenendes.
Obwohl die Politik seit Jahrzehnten versucht, die Probleme in den Griff zu kriegen, scheint auch jetzt keine wirkliche Lösung auf dem Tisch zu liegen.
Die Prämien-Entlastungs-Initiative bringt zwar klar eine Budgetentlastung der privaten Haushalte, aber sie wird kaum die Entwicklung der Gesundheitskosten beeinflussen.
Und die Kostenbremse-Initiative hat zwar einen schönen Namen, aber sie fokussiert, genau gleich wie der indirekte Gegenvorschlag des Bundesrates, nur auf den Kosten bei den Krankenkassen und nicht auf den gesamten Gesundheitskosten. Das Krankenkassenversicherungssystem bezahlt aber nur ein Drittel der effektiv anfallenden Kosten.
Steigerung der Krankenkassenprämien liegt nicht an der älter werdenden Bevölkerung
Wieso steigen die Gesundheitskosten seit Jahrzehnten übermässig? Im Abstimmungsbüchlein steht dazu etwas lapidar: «Das liegt unter anderem an der Alterung der Bevölkerung, an den neuen Therapien und Medikamenten und daran, dass diese mehr genutzt werden. Gründe dafür sind aber auch Fehlanreize und ineffiziente Strukturen.»
Dass die Alterung der Bevölkerung immer als Erstes und als Hauptursache aufgeführt wird, finde ich persönlich etwas absurd. Die Bevölkerung altert kaum so schnell wie der explosionsartige Anstieg der Gesundheitskosten.
Ausserdem geben nur die USA pro Kopf mehr Geld für die Gesundheit aus als die Schweiz. Die durchschnittliche Lebenserwartung in den USA liegt aber nur bei circa 80 Jahren, Tendenz sinkend. In der Schweiz ist die Lebenserwartung über 83 Jahre.
Strukturen und Finanzierungssystem sind das Problem
Zweifelsohne hat die technische Entwicklung der Gesundheitsversorgung in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht. Aber lässt sich damit die Kostenexplosion erklären? In den letzten 30 Jahren gab es kaum einen Bereich in unserem täglichen Leben, der sich technisch so stark verändert hat wie das Telefon. Aber ist dadurch das Telefonieren wirklich so viel teurer geworden?
Technischer Fortschritt macht das Gesundheitswesen sicher nicht billiger, aber ich glaube nicht, dass es der Hauptgrund dafür ist, dass wir immer mehr von unserem Haushaltsbudget für Krankenkassen ausgeben müssen.
Und ich glaube auch nicht, dass die Personen in den Gesundheitsberufen so viel übermässig mehr verdienen – im Vergleich zur Gesamtbevölkerung – als vor dreissig Jahren.
Das Problem der Kostenexplosion ist eher bei den Strukturen und dem Finanzierungssystem zu suchen. Niemand im Krankenkassenzahlungssystem ist an tiefen Kosten interessiert. Ursprünglich waren die Krankenkassen als Administrationen gedacht, die den Zahlungsverkehr abwickeln, vergleichbar mit den AHV-Ausgleichskassen, reine Verwaltungseinheiten.
Sie funktionieren jedoch wie Privatversicherungen, umsatz- und gewinnorientiert. Je grösser der Umsatz im Gesundheitsmarkt ist, umso mehr wachsen die Krankenkassen. Selbstverständlich weisen sie dabei die immer gleichen tiefen Kosten ihrer Verwaltung aus, aber die administrativen Kosten, die sie bei den Leistungserbringern durch ihre Kontrollmacht verursachen, werden nicht ausgewiesen.
Selbstverständlich sind es nicht nur die Krankenkassen, die die administrativen Aufwände in den Spitälern und Arztpraxen in die Höhe treiben.
Aber sie haben gegenüber den Leistungserbringern am meisten Macht und zumindest im eidgenössischen Parlament die grösste Lobby. Jede Minute, die eine Gesundheitsfachperson mit Bürokratiekram verbringt, kostet Geld und verbessert die Gesundheit der Bevölkerung kaum.
Also muss sich die Schweiz mit stetig steigenden Krankenkassenprämien einfach abfinden, weil eine Abkehr von einem obligatorischen Versicherungssystem asozial und glücklicherweise undenkbar ist? Eigentlich nicht, denn die Schweiz kennt bei der Unfallversicherung ebenfalls ein Obligatorium, bei dem die Prämien nicht stetig steigen.
Es handelt sich auch um die gleichen Ärzte, Pflegenden, Spitäler und Arztpraxen, die die Leistungen erbringen. Der Unterschied der beiden Systeme ist in der Ausrichtung der Gesetze zu finden.
Es handelt sich um das revidierte Unfallversicherungsgesetz von 1984 und das Gesetz über die Krankenversicherung von 1994, das seither sehr häufig angepasst wurde.
Konkurrenzkampf Suva gegen Private
Bei der Unfallversicherung gibt es zwei grosse Akteure: die staatliche Suva und die privaten Unfallversicherer. Sie stehen in einem echten Konkurrenzkampf und müssen Geld für die Prävention abgeben.
Mit diesem Geld fördern die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) und die Suva das Verhindern von Unfällen, also die Prävention.
Denn einen Schaden zu verhindern, ist immer billiger, als einen Schaden zu beheben. Bei der Krankenversicherung sind laut dem Gesetz die Krankenkassen nicht zur Prävention verpflichtet.
Im Gegenteil: Sie wehren sich immer wieder erfolgreich, dass sie Kosten der Prävention übernehmen müssen.
Mein Fazit
Also kurz zusammengefasst: Das Krankenkassensystem sollte dem Geist und der Ausrichtung des Unfallversicherungssystems angepasst werden. Ohne grundsätzliche Revision des Krankenversicherungsgesetzes werden die Krankenkassenprämien ungebremst weiter steigen und bestenfalls wird die Schweiz immer mehr Steuergelder zur Prämienverbilligung aufwenden.
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Zum Autor: Daniel Koch war zwischen 2008 und 2020 Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten beim Bundesamt für Gesundheit (BAG). Er ist der Öffentlichkeit als «Mister Corona» bekannt und schreibt nun regelmässig Kolumnen auf Nau.ch. Koch lebt im Kanton Bern und hat im letzten Jahr die Ukrainerin Natalia geheiratet.