Massentierhaltung: Drei Gründe, die dagegen sprechen
Der Bundesrat lehnt die Volksinitiative gegen Massentierhaltung ab, legt aber einen Gegenvorschlag vor. Sentience Politics zeigt drei Gründe für die Initiative.
Das Wichtigste in Kürze
- Eine Volksinitiative fordert die Abschaffung der Massentierhaltung in der Schweiz.
- Gründe, weshalb die Massentierhaltung abgeschafft gehört, gibt es einige.
- Ein Gastbeitrag der Organisation Sentience Politics.
Vor wenigen Tagen positionierte sich der Bundesrat zur «Initiative gegen Massentierhaltung»: Er lehnt die Volksinitiative ab, stellt ihr aber einen direkten Gegenentwurf gegenüber. Spätestens 2023 wird die Schweizer Stimmbevölkerung an der Urne über die Abschaffung der Massentierhaltung in der Schweiz entscheiden.
Eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über Massentierhaltung ist überfällig. Der Konsum von Tierprodukten hat in der Schweiz seit der Jahrtausendwende um etwa 60 Prozent zugenommen. Um diese steigende Nachfrage zu decken, ist der Bestand der landwirtschaftlich gehaltenen Nutztiere zwischen 2000 und 2013 um fast die Hälfte gestiegen. Der Hauptgrund für den Anstieg liegt im massiven Wachstum des Hühnerbestandes in der Schweiz.
Gleichzeitig ist im selben Zeitraum die Anzahl der Landwirtschaftsbetriebe von knapp 70'000 auf 55'000 gesunken. Dies führt auf Schweizer Grossbetrieben zu Zuständen, die mit Blick aufs Tierwohl nicht zu rechtfertigen sind. Denn als Konsequenz werden aktuell pro Betrieb wesentlich mehr Tiere gehalten als früher.
Bis zu 300 Mastkälber, 1500 Mastschweine oder 18'000 Legehennen beziehungsweise 27'000 Masthühner in einem Betrieb sind erlaubt. Dabei sind die Tiere enormen Belastungen ausgesetzt: Es kommt zu Auseinandersetzungen zwischen den Tieren, frühzeitigem Verenden, weil Erkrankungen nicht rechtzeitig erkannt werden können und, in den schlimmsten Fällen, zu Kannibalismus bei Legehennen oder Schweinen. All dies ist fatal fürs Tierwohl.
Aber was ist Massentierhaltung eigentlich genau?
Massentierhaltung ist ein Produktionssystem, das die Grundbedürfnisse von Tieren in praktisch sämtlichen Belangen missachtet. Sie beinhaltet das Zusammenpferchen grosser Gruppen an Individuen auf engstem Raum – regelmässiger Auslauf und eine angemessene, tiermedizinische Versorgung können in dieser Haltungsform nicht sichergestellt werden. Trotz ihrer Leidensfähigkeit werden Tiere in der Massentierhaltung nicht als Lebewesen, sondern als Produkte betrachtet.
Wieso ist Massentierhaltung ein gesamtgesellschaftliches Problem?
Repräsentative Umfragen zeigen immer wieder auf, dass die grosse Mehrheit der Bevölkerung Fleisch aus «artgerechter Tierhaltung» fordert. Dies steht in starkem Widerspruch zur Tatsache, dass Tierprodukte heute grossmehrheitlich aus industrieller Nutztierhaltung stammen – entgegen den idyllischen Werbebildern der Milch- und Fleischlobby.
All das bringt uns zu drei Gründen, wieso die Massentierhaltung nicht mehr zeitgemäss ist:
1) Tierwohl in Massentierhaltung? Nicht existent
Es ist kein Geheimnis, dass das Tierwohl in der Massentierhaltung systematisch missachtet wird und in keiner Weise mit artgerechter Tierhaltung zusammengebracht werden kann. Ein paar Fakten hierzu:
Männliche Küken werden in den meisten Fällen gar nicht erst aufgezogen, sondern bereits an ihrem ersten Lebenstag millionenfach maschinell getötet. Rund zwei Millionen Tiere erleiden dieses Schicksal allein in der Schweiz jedes Jahr.
Masthühner dürfen lediglich sechs Wochen leben, bis sie schlachtreif sind. Zu diesem Zeitpunkt sind sie aufgrund ihrer Überzüchtung oft bereits so schwer, dass ihre Beine sie kaum mehr tragen können. Knochenbrüche gehören zum Alltag.
Legehennen werden in der Regel spätestens im Alter von 18 Monaten «ausgestallt», das heisst getötet, weil ihre Legeleistung nicht mehr den betrieblichen Anforderungen entspricht. Diese Zeitdauer entspricht ca. einem Siebtel ihrer natürlichen Lebenserwartung.
Ähnlich wurden Milchkühe seit den 1960er-Jahren auf eine solche Art und Weise hochgezüchtet, dass sie heute nicht mehr 4000, sondern zwischen 8000 und 10'000 Liter Milch pro Jahr geben. Zweinutzungsrassen, die sowohl zur Milch- als auch Fleischproduktion taugen, stellen eine Minderheit dar.
Die Hälfte der Mastschweine in der Schweiz verbringt ihr ganzes Leben in einem Stall, ohne je Tageslicht zu sehen.
2) Massentierhaltung schadet unserer Gesundheit
Aktuell werden in der Schweizer Nutztierhaltung mehr als 30 Tonnen Antibiotika jährlich eingesetzt – in etwa gleich viel wie in der Humanmedizin. Durch die Verwendung von Antibiotika steigt der Selektionsdruck auf Bakterien: Jene, die sich wehren können, überleben und setzen sich durch. Dies geschieht insbesondere, wenn Antibiotika ungezielt und übermässig eingesetzt werden.
In der Massentierhaltung sind aufgrund der hohen Populationsdichte und der schlechten Haltungsbedingungen Krankheiten sehr häufig. Ein gezielter Einsatz wird durch die Zustände enorm erschwert. Multiresistente Keime sind unter Nutztieren entsprechend weit verbreitet.
Da sich diese auch auf den Menschen übertragen, vermindert jede Antibiotikaabgabe an Tiere auch die Chancen, Menschen zukünftig erfolgreich mit Antibiotika zu behandeln. In der Schweiz sterben jährlich geschätzt 300 Menschen aufgrund resistenter Bakterien.
Ein zusätzliches Problem der hohen Keimdichte in Massentierhaltungsbetrieben besteht in der Gefahr der Entstehung von Krankheiten wie der Vogel- oder der Schweinegrippe. COVID-19 hat der ganzen Welt vor Augen geführt, dass solche «Zoonosen» auch für den Menschen brandgefährlich sein können.
Schätzungsweise 60 Prozent der bekannten Infektionskrankheiten und bis zu 75 Prozent der neu auftretenden, ansteckenden Infekte haben einen zoonotischen Ursprung, das heisst, sie wurden vom Tier auf den Menschen übertragen.
3) Die Umwelt leidet unter der industriellen Nutztierhaltung
Die Nutztierhaltung ist für rund 85 Prozent aller in der Schweizer Landwirtschaft verursachten Treibhausgasemissionen verantwortlich und verursacht durch ihre immensen Stickstoffeinträge massive Probleme für Schweizer Böden und Gewässer. Gleichzeitig führte die Überdüngung landwirtschaftlich genutzter Flächen mit phosphorhaltigen Düngemitteln bereits des Öfteren zu starker Algenbildung in verschiedenen Schweizer Seen. Die Folge: Zahlreiche Fische sterben aufgrund des zunehmenden Sauerstoffmangels.
Doch auch unsere Klimabilanz wird durch die Massentierhaltung geschädigt. Durch den Import von über einer Million Tonnen Futtermittel trägt die industrielle Tierhaltung in der Schweiz auch massgeblich zu verschiedenen Umweltproblemen in anderen Teilen der Welt bei und ist unter anderem mitverantwortlich für die Abholzung überlebenswichtiger Regenwälder.
Forschende der ETH haben folgerichtig festgestellt, dass die Verkleinerung der Tierbestände die potenteste aller Massnahmen zur Reduktion der landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen ist.
Dem pflichtet selbst der Bundesrat in seiner Botschaft zum Gegenentwurf bei. Darin hält er fest: «Für die Initiative gegen Massentierhaltung resultiert ein positiver Umweltnutzen in Form von tieferen Umweltschäden in der Höhe von 30 bis 140 Millionen CHF pro Jahr.» Pikant: Der Bundesrat gibt gleichzeitig zu, dass der von ihm entwickelte Gegenvorschlag steigende Umweltschäden zur Folge hätte.
Was bedeutet das für uns?
Es ist augenscheinlich, dass die Schweizer Landwirtschaft sich in Zukunft wird anpassen müssen – die «Initiative gegen Massentierhaltung» ist dafür ein Schritt in die richtige Richtung. Sie weist den Weg hin zu einer standortangepassten Schweizer Landwirtschaft, die für eine tierfreundliche und ressourcenschonende Produktion steht: Mit dem bewussten und reduzierten Konsum fair produzierter Tierprodukte, der nachhaltig das Wohl von Tier, Mensch und Umwelt fördert.
Zum Autor: Silvano Lieger ist Geschäftsleiter von Sentience Politics.
Sentience Politics trägt die Interessen nicht-menschlicher Tiere in die Mitte der Gesellschaft. Die Organisation möchte durch institutionelle Veränderungen dafür sorgen, dass auch das Leid nicht-menschlicher Tiere möglichst effektiv minimiert wird. Dafür arbeitet Sentience Politics insbesondere mit den direktdemokratischen Mitteln, die uns in der Schweiz zur Verfügung stehen – namentlich Initiativen auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene.