Gewerkschafts-Boss: «Risiko für wilden Streik am Flughafen ist akut»
Aktuell herrscht an den Flughäfen Hochbetrieb, doch das überlastete Personal leidet. Gewerkschaftschef Philipp Hadorn warnt im Interview vor wilden Streiks.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Situation für Angestellte am Flughafen ist derzeit extrem angespannt.
- Der Präsident der Gewerkschaft für das Bodenpersonal ordnet die Lage im Interview ein.
- Er spricht von einem krassen Personalmangel und einer akuten Streikgefahr.
Lange Wartezeiten, gestresstes Personal und gestrichene Flüge: Der Start in die Sommerferien läuft an den Flughäfen nicht gerade reibungslos ab, auch nicht in Zürich.
Philipp Hadorn, Präsident der Gewerkschaft für das Bodenpersonal an den Flughäfen, spricht im Interview von einer «explosiven Situation». Nebst den Arbeitgebern müsse auch der Kanton eingreifen, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Nau.ch: Herr Hadorn, die Hauptsaison am Zürcher Flughafen läuft. Wie geht es dem Flugpersonal?
Philipp Hadorn: Ich habe viel Kontakt mit dem Personal an der Front. Die Mitarbeitenden befinden sich in einer prekären Situation. Es gibt zu wenig Leute, sie sind physisch und psychisch am Anschlag. Zudem sind viele im Clinch, weil sie dem Arbeitgeber loyal bleiben wollen und auch mal aus Goodwill eine Schicht zu viel übernehmen oder länger arbeiten. Das machen sie aber eben nur halbfreiwillig. Es ist eine explosive Situation am Flughafen.
Nau.ch: Wo liegen denn aktuell die grössten Probleme?
Philipp Hadorn: Es gibt schlicht zu wenig Leute, um alle Schichten und Einsätze zu übernehmen. Viele sind gegangen, der Arbeitsmarkt ist ausgetrocknet. Das merken nun viele Unternehmen. Hinzu kommt: Die Arbeitsbedingungen sind nicht attraktiv genug, um neues Personal zu finden. Den Krisen-GAV (Anm. d. Red: Gesamtarbeitsvertrag für die Corona-Krise) bei Swissport haben wir nun auf Ende Jahr gekündigt.
Bei der Swiss bestreiten wir, dass dessen Anwendung rechtsgültig ist. Sowieso allerdings nur bis Ende dieses Jahres. Das aktuelle Niveau an verlangter Flexibilität und Entlöhnung ist den Arbeitnehmenden nicht mehr zuzumuten.
Nau.ch: Das tönt dramatisch. Droht noch in diesem Sommer ein Streik?
Philipp Hadorn: Die Gewerkschaft wird während der Verhandlungen nicht zu einem Streik aufrufen. Trotzdem sind Streiks möglich. Die Leute sind dermassen am Anschlag, dass das Risiko für einen «wilden» Streik, also nicht von der Gewerkschaft organisiert, akut ist. Ich arbeite schon lange in dieser Branche, und so eine Stimmung habe ich noch nie erlebt. Massenentlassungen, jahrelange Krise, Tag und Nacht rennen bei noch schlechteren Arbeitsbedingungen; die Wut ist bei vielen gross.
Nau.ch: Wie kann die Situation entschärft werden?
Philipp Hadorn: Es braucht an zwei Fronten Veränderungen. Erstens: Die Unternehmen müssen wieder attraktive Arbeitsbedingungen schaffen. Wir fordern solche auf Vorkrisenniveau, zudem situativ weiterentwickelt. Verlaufen solche Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern erfolgreich, können die Arbeitgeber die aktuellen Mitarbeitenden behalten und auch neue finden.
Zweitens: Die Politik muss aktiv werden. Es darf einfach nicht sein, dass Swiss die Corona-Bundesgarantien einstrich und nun zurückzahlt, ohne dass irgendwelche soziale Standards einverlangt werden. Aber das ist schon passiert. Jetzt muss der Kanton Zürich, der grösste Aktionär des Flughafens, klare Auflagen machen.
Nau.ch: Was erwarten Sie denn konkret vom Zürcher Regierungsrat?
Philipp Hadorn: Er sollte die Konzessionen an eine Pflicht zu Gesamtarbeitsverträgen binden, dann können diese auch allgemein verbindlich erklärt werden (AVE). Da hätte der Kanton ganz klare Möglichkeiten. Das würde zum Beispiel die Konkurrenz von Swissport, welche teilweise mit Dumping-Preisen und -Löhnen operiert, unter Druck setzen. Der Kanton Genf hat es mit seinem Flughafen vorgemacht.
Nau.ch: In den nächsten Tagen wollen Tausende in die Ferien fliegen. Wird die Kundschaft noch mehr von der Flugpersonalkrise zu spüren bekommen?
Philipp Hadorn: Nun, die Flughäfen behaupten zwar, es sei alles im grünen Bereich. Aber das würde ich auch sagen, wenn ich sie wäre. Ich denke, die Kundinnen und Kunden müssen sich schon auf längere Wartezeiten und Verarbeitungszeiten einstellen. Und auch auf ersatzlos gestrichene Flüge. Das ist dann auch aus Branchensicht nicht gut: Denn die Passagiere suchen nach Alternativen. Die Unsicherheit beim Personal könnte sich also auch für die ganze Branche rächen. Dieses Risiko ist real.
Nau.ch: Was würden Sie den frustrierten Passagieren mitteilen?
Philipp Hadorn: Dass sie nicht das Personal am Schalter oder am Telefon anmotzen. Hoffentlich erkennen sie, dass die Situation aufgrund von Management-Fehlern im Hintergrund so ist, wie sie ist.